Das Erfolgsmodell des Berufs- und Weiterbildungszentrums Rorschach-Rheintal (BZR) soll aufgrund eines von der St.Galler Kantonalregierung gefassten Beschlusses zersplittert und geschlossen werden. Rheintal24 hat berichtet.
An dessen Stelle soll die derzeit in St.Gallen stationierte Berufsfachschule für Gesundheitsberufe (BZSG) nach Rorschach umziehen. Was mit dem BZR-Standort Altstätten passieren soll, ist noch vollkommen unklar. Dieser Entscheid der Regierung wurde in einer Hau-Ruck-Aktion ohne vorgehende Info und ohne Einbezug der Stakeholder und massgeblichen Akteure im Berufsschulwesen getroffen. Gestützt auf Argumente, die bei genauer Prüfung nicht standhalten können. Rheintal24 hat den Berufsfachschulpräsidenten Werner Fuchs um einen Faktencheck gebeten, den wir im folgenden wortgetreu wiedergeben.
Aussage der Regierung (Medienmitteilung der Regierung, 21.10.20):
«Der Berufsbildungsstandort Rorschach wird gestärkt.»
Fakt ist:
- Mit dem BZR / WZR wird eines der grössten (gleich gross wie KBZ St.Gallen oder BZGS St.Gallen), gut funktionierenden und wirtschaftlich erfolgreichen Berufs- und Weiterbildungszentren des Kantons geschlossen.
- 2300 Lernende der Grundbildung sowie über 100 Lehrpersonen werden auf die verbleibenden Berufsfachschulen verteilt.
- Mit der Auflösung des WZR (1500 Studierende, 190 Dozierende), welches auf den Berufen der Grundbildung aufgebaut ist, wird gleichzeitig der bedeutendste regionale Weiterbildungsanbieter für Technik, Wirtschaft, Logistik/Aussenhandel, Floristik/Gartenbau und Sprachen geschlossen.
- Damit nimmt man den Arbeitnehmenden, Bürgerinnen und Bürgern der Region die Möglichkeit, sich lokal weiterzubilden.
- Ob und welche Art von Erwachsenenweiterbildung in Altstätten und Rorschach angeboten wird, ist noch völlig unklar.
- Die neue Schule wird aber unter völlig neuen Bedingungen (neue Schule, neues Personal, neue Lernende) arbeiten.
Aussage der Regierung (Schriftliche Antwort der Regierung auf die Einfache Anfrage, 03.11.20)
«Die Analyse des Bildungsdepartementes hat gezeigt, dass die Berufsfachschulen im Kanton St.Gallen ungeachtet des demografischen Zuwachses insgesamt räumliche Überkapazitäten in der Grössenordnung einer ganzen Schule aufweisen. Damit kann der Auftrag des Kantonsrates, ausgelastete Kompetenzzentren zu planen, nicht ohne Preisgabe einer Schule bzw. Schulführung erfüllt werden.»
Fakt ist:
Es wird eine Schule geschlossen, bevor eine Gesamtsicht erstellt worden ist, mit dem einzigen Ziel, rasch die Zimmerauslastung in anderen Schulen zu erhöhen und damit eine politische Forderung frühzeitig und ohne Hinblick auf die Bildung von Kompetenzzentren zu erfüllen.
Das steht im Widerspruch zur Aussage im Dokument des ABB, wonach die Bildung von Kompetenzzentren im Vordergrund steht.
Aussage der Regierung (Medienmitteilung der Regierung, 21.10.2020)
«Einzelne Anpassungen von Schulstandorten sollen aus Sicht der Regierung vorgezogen werden können, wenn sie die Qualität fördern und keine Hindernisse für das spätere Ganze schaffen.»
Fakt Ist:
Nach eigener Aussage der Regierung ist «längerfristig die gesamte Berufsfachschullandschaft als übergeordnet-konsistentes System zu gestalten».
Bisher besteht kein derartiger Masterplan für die Gesamtsicht des Berufsbildungssystems des Kantons. Durch den präjudizierenden Entscheid ist nicht sichergestellt, dass die Qualität gefördert wird. Vielmehr werden Hindernisse für das spätere Ganze geschaffen.
Es ist zu befürchten, dass diverse Berufsgruppen durch die nachgelagerte Bildung von Kompetenzenzzentren ein zweites Mal umverteilt werden müssen.
Der Kantonsrat verlangte im Sommer 2019 von der Regierung einen solchen Masterplan (Bericht über die strategische Planung der Berufsfachschulen und der Mittelschulen). Der Bericht sollte aufzeigen, welche Konsequenzen die neuen Berufsbilder, die Entwicklung der Schülerzahlen und andere Veränderungen auf die Investitionsplanung und die Schulstandorte haben.
Aussage der Regierung (Medienmitteilung vom 21.10.2020):
«Eine solche Gelegenheit ergibt sich nun für den Berufsfachschulstandort Rorschach. Dort wird heute eine Vielzahl von Berufen gelehrt, von denen die meisten auch an benachbarten Berufsfachschulen verankert sind.»
Fakt ist:
11 von 15 Berufen werden nicht an benachbarten Berufsfachschulen angeboten und kantonal einzig am BZR in Rorschach unterrichtet:
Fahrzeugschlosser EFZ, Carrossier Spenglerei EFZ, Feinwerkoptiker EFZ, Produktionsmechaniker EFZ, Logistiker EFZ, Logistiker EBA, Gärtner EFZ, Gärtner EBA, Floristen EFZ, Kaminfeger EFZ, Fleischfachassistent EBA
Aussage der Regierung (Medienmitteilung vom 21.10.2020):
«Die räumliche Auslastung in Rorschach ist aber tief.»
Fakt ist:
Die räumliche Auslastung in Rorschach ist hoch: Sie beträgt rund 90%.
Aussage der Regierung (Medienmitteilung vom 21.10.2020):
«Ausserdem hat der Kanton Thurgau entschieden, eine grosse Zahl bisher in Rorschach beschulter Lernender, insbesondere Logistikerinnen und Logistiker, in den eigenen Kanton zurückzuziehen und dort selbst zu beschulen. Der Schulstandort Rorschach benötigt daher eine Stärkung.»
Fakt ist:
Der Weggang von 200 Lernenden, bezogen auf total 2300 am BZR (1700 am Standort Rorschach), ist unbedeutend. Er ist keine Schwächung des Standortes, sondern bietet sogar die Chance, durch geplante Abgänge von Klassen in Pilotprojekten, das Mietobjekt Alcan aufzugeben und die Lernenden am Hauptsitz an der Feldmühlestrasse zusammenzuziehen und damit jährlich Mietkosten in der Höhe von CHF 250'000.- einzusparen.
Aussage der Regierung (Schriftliche Antwort der Regierung auf die Einfache Anfrage, 03.11.20):
«Der Grundsatzentscheid wurde prinzipiell «top down» getroffen, mit Ausnahme eines vertraulichen Einbezugs der beiden betroffenen Rektoren.»
Fakt ist:
Die beiden Rektoren waren bei der Vorbereitung des Grundsatzbeschlusses weder in die Grundlagenanalyse noch in den Entscheidungsprozess einbezogen worden. Der Einbezug bestand lediglich auf der Ebene der persönlichen Information im Rahmen von zwei Kurzgesprächen.
Aussage der Regierung (Schriftliche Antwort der Regierung auf die Einfache Anfrage, 03.11.20):
«Am BZR besteht Sanierungsbedarf an der Infrastruktur in Rorschach.»
Fakt ist:
Im Rahmen einer grosszyklischen Sanierung stehen in den nächsten Jahren gewisse Arbeiten an. Der Handlungsbedarf ist aus betrieblicher Sicht nicht dringlich – die Infrastruktur erfüllt den Zweck.
Aussage der Regierung (Schriftliche Antwort der Regierung auf die Einfache Anfrage, 03.11.20):
«Die Regierung hat den Grundsatzbeschluss im gesicherten Wissen gefällt, dass damit die Ausbildung betriebswirtschaftlich verbessert werden kann, ohne dass die Bildung von Kompetenzzentren im Sinn des Postulatsauftrags in Frage gestellt würde.»
Fakt ist:
Durch die Schliessung einer grossen Schule werden 2300 Lernende auf die restlichen BWZ verteilt, dorthin wo es gerade Platz hat. Sollen später Kompetenzzentren gebildet werden, steht eine weitere Umverteilung an.
Das BZR ist bereits heute ein Kompetenzzentrum für die folgenden Berufsfelder:
- Logistik mit rund 750 Lernenden aus ganzen Ostschweiz
- Grüne Berufe (Floristen und Gärtner) mit über 300 Lernenden aus der ganzen Ostschweiz
- Kaufleute mit rund 430 Lernenden am Standort Altstätten
- Kaminfeger aus der ganzen Ostschweiz
Aussage der Regierung (Schriftliche Antwort der Regierung auf die Einfache Anfrage, 03.11.20):
«Die Umsetzung des Grundsatzbeschlusses wird mit Blick auf die Demografie nicht zu einem strukturbedingten Abbau von Arbeitsplätzen führen. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass – auch unter Berücksichtigung von sich ergebenden Synergiegewinnen – zumindest nicht weniger, in der Tendenz sogar mehr Arbeitsplätze zu besetzen sind.»
Fakt ist:
Am BZR arbeiten rund 25 Mitarbeitende in der Verwaltung und im Hausdienst. Das WZR beschäftigt rund 190 Dozierende. Es ist mehr als fraglich, wie viele dieser Arbeitsplätze erhalten bleiben werden.
Der nicht nachvollziehbare Entscheid verunsichert die Mitarbeitenden, Betriebe und die Kunden der Weiterbildung und destabilisiert mittelfristig den gesamten Schulbetrieb.
Aussage der Regierung (Schriftliche Antwort der Regierung auf die Einfache Anfrage, 03.11.20):
«Die Szenarien weisen damit Flexibilität aus für die späteren Entscheide zu den Kompetenzzentren.»
Fakt ist:
Nach einer ersten Verteilung der 2300 Lernenden auf die restlichen BWZ werden zu einem späteren Zeitpunkt Kompetenzzentren gebildet, was nochmals eine Umverteilung zur Folge haben wird.
Aussage der Regierung (Schriftliche Antwort der Regierung auf die Einfache Anfrage, 03.11.20):
«Die künftigen Angebote am Berufsfachschulstandort Altstätten sind zurzeitoffen. Fest steht, dass der Standort Altstätten für die künftige Berufsfachschullandschaft benötigt wird und gesetzt bleibt. Konkretisiert wird sein Angebot in den nun folgenden Umsetzungsschritten.»
Fakt Ist:
Es besteht kein Masterplan für die künftige Berufsfachschullandschaft. Dieser wird erst erarbeitet. Eskönnte durchaus sein, dass diverse Berufsgruppen ein zweites Mal umverteilt werden müssen.
Aussage der Regierung (Schriftliche Antwort der Regierung auf die Einfache Anfrage, 03.11.20):
«Eine «bottom-up»-Methodik auf dem Weg zum Grundsatzbeschluss hätte nicht zielführend sein können, da die lokalen Verantwortungsträger es während einer laufenden Lagebeurteilung in guten Treuen als ihre Aufgabe angesehen hätten, ohne Kompromissbereitschaft auf den Erhalt der bestehenden Struktur zu fokussieren.»
Fakt ist:
Das ist eine unbewiesene Behauptung und wirft Fragen in Bezug auf das dahinterstehende Demokratieverständnis auf. Die Führung des BZR hat in den vergangenen Jahren mehrmals konstruktiv Lösungen in strukturellen Veränderungsprozessen mitgetragen (z.B: verschiedene Fusionen wie BZ Altstätten mit BZ Rorschach).
Aussage der Regierung (Schriftliche Antwort der Regierung auf die Einfache Anfrage, 03.11.20):
«Für die Umsetzung des Vorhabens sind naturgemäss viele Detailfragen offen.»
Fakt ist:
Im Kanton St.Gallen sind Projekte dieser Grössenordnung nach vorgegebenen Projektmanagementrichtlinien durchzuführen. Trotzdem ist die Regierung der Ansicht, dass der getroffene Grundsatzentscheid keine perfektionierten Grundlagen voraussetzt, sondern sich aufgrund der auf dem Tisch liegenden Fakten aufgedrängt hat, und dass er zweitens nicht partizipativ möglich, sondern top down zu fällen war.