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St. Margrethen
04.12.2020
04.12.2020 12:07 Uhr

Erfolgreich in einer Männerdomäne

Tina Gautschi, Bild: Marlies Thurnheer
Tina Gautschi, Bild: Marlies Thurnheer Bild: FS
Sie ist 33 Jahre jung und seit Januar 2020 Chefin der Gautschi-Gruppe mit Hauptsitz in St.Margrethen und einem Dutzend Niederlassungen in der ganzen Ostschweiz: Mit Tina Gautschi ist die sechste Generation ins 118-jährige Familienunternehmen eingestiegen. Mit über 300 Mitarbeitern deckt die Gruppe einen grossen Teil des Baugewerbes ab. Die begeisterte Seglerin weiss, wie man sich in Stürmen verhält.

Tina Gautschi, mit Ihnen steht erstmals in der Firmengeschichte eine Frau der Gautschi-Gruppe als CEO vor. War es für Sie von Anfang an klar, dass Sie die Familientradition weiterführen?
Nein, das hat sich für mich erst nach und nach herausgestellt. Schön ist, wenn die Leidenschaft für den Bau von Generation zu Generation weitergegeben werden kann. Dies empfinde ich als grosses Glück.

Was fasziniert Sie denn an der Baubranche?
Die Baustelle und der gesamte Baubetrieb waren für mich und meine Schwester ein unbegrenztes Abenteuer. Eine meiner grössten Leidenschaften sind Baumaschinen. Diese haben mich schon seit der Kindheit sehr fasziniert. Dazu stehe ich gerne bis zu den Knien im Dreck und verbringe gerne Zeit draussen in der Natur. Mir gefallen auch die Zufriedenheit unseres Teams und der familiäre Umgang auf dem Bau. Die harte Arbeit, die Schönheit des Handwerkes – und natürlich, dass man sieht, was man am Ende des Tages erreicht hat.

Und was haben Sie vorher gemacht?
Ich war Bauführerin im Ingenieurtiefbau und durfte viele interessante Projekte ausführen: Von Brücken über Rückbauten, Strassenbau- und Tiefbauarbeiten bis hin zu Böschungssicherungen war alles dabei, was ein Bauführerherz höherschlagen lässt.

Die Baubranche wird von Männern dominiert. Muss man sich hier als Frau nach wie vor beweisen?
Ach, man muss sich als jüngeres Mitglied in einem gestandenen Team immer beweisen, ob Mann oder Frau. Eine Frau auf dem Bau ist schon lange nicht mehr exotisch. Oder vielleicht bin ich es einfach so gewohnt, dass es mir nicht mehr auffällt.

Wie hoch ist der Frauenanteil in Ihren Unternehmungen?
Etwa acht Prozent. Das ist normal in unserer Branche. Wir sind aber eine der wenigen Bauunternehmungen, in welcher eine weibliche Mehrheit im Verwaltungsrat vertreten ist. Dass unsere Branche wenig Frauenanteil hat, liegt wohl an unterschiedlichen Interessen und natürlichen Kraftverhältnissen der Geschlechter: Wir haben auf dem Bau praktisch keine Bewerberinnen und fast keine weiblichen Lernenden. Schade!

Wie führen Sie als CEO und was ist Ihnen am wichtigsten?
Der Mensch. Ich glaube, dass Wertschätzung und gegenseitiges Vertrauen am Wichtigsten sind. In unserem Familienbetrieb sind diese Werte seit Generationen verankert. Man kann Grenzen setzen und ein Leader sein, auch wenn man einen familiären Umgang pflegt. Vielfach geht es auch um Motivation und Sinnvermittlung. Auch sehr wichtig ist, dass man den Mitarbeitern Verantwortung überträgt und sie nicht nur als Befehlsempfänger ansieht. Es macht mir Freude, wenn sie Erfolg haben und man sie dabei unterstützen konnte.

Sie haben Ihren Vater Christoph Gautschi als CEO abgelöst, er bleibt Verwaltungsratspräsident der Gautschi- Gruppe. Wie ist die Zusammenarbeit zwischen Vater und Tochter?
Sehr gut; wir sind ein tolles Team, obwohl wir nicht immer gleicher Meinung sind. Die Erfahrung meines Vaters und meine frischen Ideen lassen meistens einen gangbaren Kompromiss entstehen. Wir kennen uns sehr gut, wissen, wie das Gegenüber tickt – und wir teilen viele Leidenschaften. Vor allem segeln wir seit Jahren zusammen in der Starbootklasse. Das macht es für uns sicherlich sehr viel einfacher.

Hilft Ihnen das Segeln auch beruflich in Ihrer Rolle als CEO?
Das Segeln ist eine Lebensschule, in der jeder lernt, sich ins Team einzureihen. Wer miteinander segelt, kann sich nicht aus dem Weg gehen, sondern muss zusammenarbeiten. Was könnte eine Familie, ein Team also enger verbinden als ein gemeinsamer Tag auf dem Wasser? Segeln heisst für mich, die Welt zu erkunden, und ist immer auch eine Reise ins Blaue. Vollständig berechenbar ist ein Segeltörn nie: Allein das Wetter kann null Komma nichts umschlagen und dabei ist schnelles Denken gefragt. An diversen internationalen Regatten habe ich gelernt, mich unter ständig wechselnden Bedingungen zurechtzufinden und mit neuen Situationen klar zu kommen. Dazu gehören auch Stürme oder Niederlagen und nicht aufzugeben, auch wenn es mal bitterkalt, nass und anstrengend sein kann.

Die Gautschi-Gruppe ist sehr breit aufgestellt – wo sehen Sie hier die Vorteile gegenüber Ihren Mitbewerbern?
Wir sind nicht von einem einzigen Bereich abhängig. Ich nenne die Gruppe auch liebevoll «Buntwarenladen». In vielen Projekten können wir spartenübergreifend arbeiten. Wir bieten alles rund um den Bau an. Angesichts der unzähligen Schnittstellen bei Bauprojekten ist dies ein grosser Vorteil! Gleichzeitig sind wir dank der laufenden Digitalisierung viel transparenter geworden; dies eliminiert zusätzlich potenzielle Fehlerquellen, Schnittstellen und Kosten. Das zweite Differenzierungsmerkmal ist der Mensch: Unsere erfahrenen, motivierten und kompetenten Mitarbeiter lösen alle anfallenden Schwierigkeiten zeitgerecht. Darauf bin ich sehr stolz.

Sie sind mit der Aviatis ATO Flying School und Aviatis Aircraft Operation und Management auch in der Luftfahrt am Flugplatz Altenrhein vertreten.
Die Sparte Luftfahrt ist durch die Leidenschaft zur Fliegerei meines Grossvaters entstanden. Heute wird diese Sparte durch meinen Onkel und meine Tante geführt. Da beide erfahrene Piloten sind, ist auch diese Sparte sehr gut betreut.

Dann gehören Ihnen die Markenrechte der ehemals berühmten FFA Flug- und Fahrzeugwerke Altenrhein, die einst Schweizer Militärflugzeuge in Lizenz herstellte, den Jäger-Prototypen FFA P-16 entwarf und das Schulungsflugzeug AS-202 Bravo baute. Was macht die FFA heute?
Die FFA ist ein Betriebsteil der Gautschi AG geworden. Leider ist das ehemalige Flug- und Fahrzeugwerk geschlossen; wir bewirtschaften heute die Liegenschaften rund um den Flugplatz und betreiben dazu die Abteilung Aviatis ATO. Diese schult und bildet Piloten aus, bietet Rundflüge und Auffrischungskurse sowie die gesamte Abwicklung in Sachen Flugzeugmanagement an.

Fliegen Sie selbst auch?
Nein. Ich bin aber gerne Fluggast.

Seit Mitte März hat die Corona-Pandemie auch die Schweiz fest im Griff. Wie hat sich das auf die Gautschi-Gruppe ausgewirkt?
Ein unerbittlicher Preiskampf ist schon lange kennzeichnend für die Ostschweizer Bauindustrie. Er bringt einen deutlichen Angebotsüberhang für vergleichbare und damit austauschbare Bauleistungen. Um die normale Auslastung hochzuhalten, kalkulieren viele Bauakteure mit bedrohlich tiefen und oder sogar negativen Margen, was sich wiederum negativ auf dem Marktpreis auswirkt. Sollte das Volumen wegen Covid-19 noch mehr schrumpfen, wird sich der Preiskampf nochmals massiv verschärfen und wir geraten noch stärker unter Druck, da der Preis fast als alleiniges Entscheidungskriterium gilt. Oft werden wir Bauakteure auch absichtlich gegeneinander ausgespielt.

Wie ist die Situation aktuell?
Wir verspüren einen klaren Umsatzrückgang, vor allem im privaten Hochbau. Bereits kämpfen wir mit einem stark rückläufigen Auftragseingang, etwa weil sich Bauherren aufgrund ungewisser Konjunkturaussichten mit neuen Bauvorhaben zurückhalten oder sie die Liquidität für die eigene Notlage benötigen. Und: Das Einhalten der vorgegebenen Massnahmen zum Gesundheitsschutz und der Ausfall von Einzelnen wirkt sich negativ auf die Produktivität auf den Baustellen aus.

Und wie begegnen Sie diesen Widrigkeiten?
Das Ziel ist klar: Corona mit einem blauen Auge zu meistern sowie die Situation als Herausforderung und nicht nur als Krise anzusehen. Leider können wir das wenige Positive einer Krise oft nicht sehen. Wie zum Beispiel die beschleunigte Digitalisierung und die daraus entstehende Prozessoptimierung.

Zum Schluss: Wo möchten Sie künftig Schwerpunkte in der Gruppe setzen?
Unsere Schwerpunkte sind ganzheitliche Lösungen für den Bauherrn und möglichst regionale Wertschöpfung mittels einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft. Wir wollen uns – auch etwa mit unserer Gautschi-App – transparent und offen gegenüber dem Kunden zeigen und den Fokus auf das Kundenerlebnis legen. Anhand der Digitalisierung können wir uns wieder vermehrt auf unsere Kernkompetenzen konzentrieren – bekanntlich das Handwerk.

Dieser Text ist aus der LEADER Ausgabe Nov/Dez 2020. Die LEADER-Herausgeberin MetroComm AG aus St.Gallen betreibt auch stgallen24.ch.

leaderdigital.ch/Tanja Millius
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