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Gesundheit
02.06.2021
03.06.2021 10:27 Uhr

Faktische Impfpflicht durch gesellschaftlichen Zwang?

Die Aufforderung, sich impfen zu lassen, trifft jeden
Die Aufforderung, sich impfen zu lassen, trifft jeden Bild: vienna.at
Umso mehr Menschen gegen Corona geimpft sind, umso stärker wird der Druck auf jene werden, die Impfgegner oder –verweigerer sind. Werden sie als «gesellschaftliche Parias» diesem Druck überhaupt standhalten können?

Der Kommentar zur Zeit von Gerhard M. Huber, Chefredaktor rheintal24.ch

Die Menschen sind derzeit erleichtert und voller Hoffnung. Hoffnung auf eine sich wieder der Normalität annähernde warme Jahreszeit. Hoffnung auf Sommer, Sonne und Treffen mit Freunden bei Partys und Konzerten. Hoffnung auf ein Ende dieser nur noch nervenden Pandemie. Und schaut man sich die Impfzahlen im Kanton St.Gallen und im Rheintal an, so scheinen diese Hoffnungen berechtigt. Total stehen wir kantonsweit derzeit bei 267´571 Impfungen, davon 176´302 Erstimpfungen. Also ist einem grossen Teil der Impfwilligen zumindest einmal ein rMNA-Vakzin verabreicht worden.

Langzeit- oder sogar Todesfolgen

Doch um die vielgenannte «Herdenimmunität»zu erreichen und damit die Pandemie zuverlässig zu ersticken, benötigt es einen durch Genesung oder Impfung herbeigeführten Immunitätsgrad von etwa siebzig bis achtzig Prozent der Bevölkerung. Solange wird das Coronvirus weiter zirkulieren und werden nicht immunisierte Personen schwer erkranken. Mit Langzeit- oder sogar Todesfolgen. Also müssten theoretisch bis dahin auch von den Geimpften weiterhin Schutzmassnahmen, wie die Maskentragepflicht oder die Begrenzung von Teilnehmerzahlen an Veranstaltungen, weiter eingehalten werden.

Werden Nichtgeimpfte ausgegrenzt werden? Bild: bild.de

Denn auch Geimpfte können sich mit Covid-19 infizieren, weisen aber nur in den seltensten Fällen Symptome auf. Sie sind aber ansteckend für nicht immunisierte Personen. Bald wird ein Grossteil der Bevölkerung geimpft sein. Was für Impfverweigerer den Alltag immer schwieriger macht. Sie werden unter gesellschaftlichen Druck gesetzt oder sogar ausgegrenzt werden.

Erlösung vom Coronafluch

Die einen sehen in einer Immunisierung durch Impfung die Erlösung vom Coronafluch, die einzige Möglichkeit zur Rückkehr in die Normalität. Die Impfverweigerer oder Impfgegner bewegen sich aber in ihrer Sicht auf die Dinge zwischen Indifferenz und Bedrohung.

Jene, die auf die Impfung vertrauen, vertrauen auf wissenschaftlichen Konsens, auf die Solidarität und darauf, dass eigentlich alle derzeit die Schnauze mehr als voll haben von Corona, Masken und geschlossenen Lokalen. Von erschwerten Grenzübertritten und dem unangenehmen Gefummel in der Nase beim PCR-Test. Die Verweigerer hingegen stützen sich oft auf eher unseriöse (sich aber meist pseudowissenschaftlich seriös gebende) oder esoterische Quellen oder auf schlichte Propaganda in den Social Medias.

Sollen die Geimpften aus Solidarität zu den sich freiwillig nicht impfen Lassenden für immer und ewig Masken tragen? Bild: ndr.de

Es dämmert daher eine Entwicklung am Horizont: die Impfpflicht durch gesellschaftlichen Zwang. Also eine nicht gesetzlich festgeschriebene, aber faktische Impfpflicht. Weil nämlich der Alltag für die Ungeimpften schwierig bis unmöglich werden wird. Getrieben vom Verhalten der geimpften Mehrheit, von Unternehmen mit Publikumsverkehr und vom Wunsch aller Mitmenschen, dass dieser unsägliche Quatsch, diese unsägliche Mühsal, diese ganze Krise endlich vorbei sein soll.

Sozialer Mehrheitsdruck wird verstärkt

Wenn wir in die Nähe der Herdenimmunität kommen, wird verstärkt sozialer Mehrheitsdruck entstehen, wird die Impfung als Erlösung aus der pandemiebedingten Erstarrung der Gesellschaft empfunden, und wird die Nichtimpfung verstärkt als Bedrohung der individuellen Freiheit der Geimpften vor Schutzmassnahmen gesehen werden.

Eineinhalb Jahre Entbehrungen, Zumutungen und Freudlosigkeit und die Wut und Bitterkeit darüber werden auf die Impfgegner übertragen werden. Die Immunisierten werden nicht mehr bereit sein, auf ihre individuelle Freiheit von Masken, Abständen, Händeschütteln und Veranstaltungsbesuche zum Wohle der sich freiwillig nicht immunisieren lassenden Minderheit zu verzichten.

Künftige Ausgrenzung von Nichtgeimpften?

Die Unternehmen und Institutionen mit Publikumsverkehr werden diesen Mehrheitsdruck verstärken. Fluggesellschaften, Restaurants, Cafes, Verkehrsanbieter und viele mehr haben sozusagen Hausrecht. Kein Staat kann ihnen verbieten, Nichtgeimpfte künftig auszugrenzen und für den Eintritt in ein Konzert, in ein Restaurant oder für eine Flugreise die Vorlage eine Impfpasses zu verlangen.

Flugreisen werden in Bälde nur mehr unter Vorlage von Impfpässen möglich sein Bild: welt.de

Zumal die Testmöglichkeiten, die die Vorlage von Testzeugnissen möglich macht, mit der erhöhten Anzahl an Geimpften und der damit verringerten Nachfrage, immer weniger werden. Und der Staat bei Ende der Impfkampagne künftig sicher nicht mehr die Kosten für diese Tests übernehmen wird.

Auffrischungsimpfungen notwendig

Ein weiterer Faktor bei der Entstehung des gesellschaftlichen Zwangs zur Impfung sind die Mutationen. So hat der Europa-Chef des Vakzinherstellers Moderna selbst erklärt, dass die südafrikanische Variante den Impfschutz um den Faktor fünf bis sechs reduziert. Was das bedeutet? Höchstwahrscheinlich werden wir etwa halbjährlich bis jährlich Auffrischungsimpfungen benötigen. Wie bei der Grippe. Damit der Schutz bestehen bleibt.

Dadurch verliert aber das immer wieder an den Haaren herbeigezogene Argument der Impfgegner und –verweigerer, man muss als vollständig Geimpfter keine Angst vor Ungeimpften haben, immer wieder seine Gültigkeit. So werden dann die Impfverweigerer von der grossen Mehrheit als dauerhafte Gefahr für ein Wiederaufflackern der Pandemie und der wiederkehrenden Zerstörung der Normalität empfunden werden.

Gesellschaftlicher Druck wird ansteigen

So wird der gesellschaftliche Druck, sich auch zum Schutz aller anderen und zur dauerhaften Normalisierung des Lebens impfen zu lassen, immer weiter ansteigen. Wir werden keinesfalls so tun dürfen, als hätten die Ungeimpften keine Nachteile zu erwarten. Denn die werden so sicher kommen, wie das Amen im Gebet. Fraglich wird nur sein, ob die dann überwiegende Mehrheit der Geimpften genug Solidarität beweist, um um der Nichtgeimpften willen auf die vielbeschworene und sehnsüchtig zurück erwartete Normalität zu verzichten.

Meine Meinung – und Ihre?

Gerhard M. Huber

Chefredaktor rheintal24.ch

gmh/uh
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