Kantonsrat Meinrad Gschwend aus Altstätten ist Mitglied des Stiftungsrates der St.Gallischen Kulturstiftung und hat als solcher ie Rölllelibutzen als Preisträger vorgeschlagen. Weshalb er an der leider abgesagten Preisverleihungsgala auch die Laudatio halten sollte. Schweren Herzens musste sich der Stiftungsrat aufgrund der aktuell steigenden Coronafallzahlen entscheiden, den Anlass nicht durchzuführen. Die Urkunde, der Preis (20’000 CHF) und die Laudatio wurden per Post zugestellt.
Ein Hoch auf die Röllelibutzen!
Für rheintal24.ch kein Grund, auf diese berechtigte Laudatio auf die Röllelibutzen zu verzichten, die uns Meinrad Gschwend zukommen hat lassen und die wir hier im Wortlaut veröffentlichen:
«Sehr geehrte Damen und Herren!
Es kommt selten vor, dass eine St.Galler Regierungsätin auf einen König trifft. Heute ist dies der Fall. Deshalb:
Sehr geehrter Herr Butzenkönig Carlo Pinardi
Sehr geehrte Frau Regierungsrätin Laura Bucher
Sehr geehrter Herr Alt Regierungsrat Martin Klöti
Sehr geehrte Anwesende
Liebe Röllelibutzen
Als Folge von besonderen Umständen und durch Druck von oben findet die heutige Preisverleihung der St.Gallischen Kulturstiftung unter ungewöhnlichen Vorzeichen statt. Für die Röllelibutzen ist dies nichts Neues. Ebenfalls unter besonderen Umständen gründeten sie 1919 ihren Verein. Damals wurde ihnen von der St.Galler Regierung – also von den Vorgängern von Regierungsrätin Laura Bucher – untersagt, ihren Brauch auszuüben. Der Grund: Angst vor einer erneuten Ausbreitung der Grippe, Nachwehen des Generalstreiks und eine moralsaure Haltung, in der die Fasnacht keinen Platz hatte.
Mehr als 100 Jahre später wissen wir: Die Altstätter widersetzten sich dem regierungsrätlichen Verbot. Um weiteren Verboten zuvorzukommen, wurde ein Verein gegründet. Mit Entschlossenheit und Professionalität gingen die Röllelibutzen in die Offensive. Die St.Galler Regierung zog den Kürzeren. Kurzum: eine kleine Gruppe von Fasnächtlern hatte sich gegen die Obrigkeit durchgesetzt. Von da an waren die Röllelibutzen von der öffentlichen Bühne definitiv nicht mehr wegzudenken.
Der Ursprung der Altstätter Röllelibutzen reicht viele Generationen vor die Zeit der Vereinsgründung zurück. Trotz behördlichen Einschränkungen und Verdrängungsversuchen aller Art faszinierte die Röllelibutzen-Fasnacht immer wieder von neuem – bis heute. Das Spiel der Farben und Klänge ist ein Freudentanz, ein Gegenpunkt zum Weiss/grau/kalt/starr/leblos des Winters.
Alt und neu zu verbinden, haben sich die Röllelibutzen schon früh auf die Fahnen geschrieben. Alt indem sie dem seit vielen Generationen überlieferten Kern des Brauches Sorge tragen. Neu indem sie stets offen waren für sich ändernde Formen der fasnächtlichen Aktivitäten. Mit dieser Mischung locken sie Jahr für Jahr mehrere tausend aktive Fasnächtler und Fasnächtlerinnen und ein noch viel grösseres Publikum ins Rheintaler Marktstädtchen.
Als es darum ging, das 100jährige Bestehen des Vereins zu feiern, gingen die Röllelibutzen neue Wege. Genau dafür werden sie heute ausgezeichnet. Soviel vorweg: Es gelang ihnen, etwas auf die Beine zu stellen, was es bis dahin noch nie gegeben hatte. Und dies in hoher Qualität.
Was wäre näher gelegen, als einfach auf den Putz zu hauen, einen möglichst grossen Umzug auf die Beine zu stellen und ein paar Festivitäten anzuhängen? Oder allenfalls ein paar Monate später – wenn man nicht mit der herkömmlichen Umzugs-Organisation beschäftigt ist – ein Jubiläumsfest durchzuführen? Doch Fasnacht im Sommer, das ist für einen traditionellen Fasnächtler fast schon ein Sakrileg.
Sie haben es anders gemacht. Mitten im Winter, zwei Wochen vor der eigentlichen Fasnacht, führten sie einen zweiten Anlass durch: Das europäische Kultur-und Brauchtumstreffen. Das Ziel bestand darin, das Röllelibutzen Brauchtum europaweit einzubetten. Eingeladen wurden 35 Fasnachtsgruppen aus 15 Ländern. Aus Griechenland, Rumänien, Portugal, Kroatien, Italien oder Belgien. Teils stammten die Gruppen aus sehr abgelegenen Regionen und waren nur Insidern bekannt. Ausschlaggebend für die Einladung waren Gemeinsamkeiten mit den Röllelibutzen, zum Beispiel ein auffallender Hut, klingende Rollen oder eine besondere Ursprünglichkeit.
In dieser Art war es europaweit das erste internationale Fasnachtsbrauchtums-Treffen. Es brauchte ein riesiges Netzwerk mit vielen Kontakten in die unterschiedlichsten Brauchtums-Szenen. Ein grosser Aufwand war notwendig bis die 35 Gruppen dann tatsächlich in Altstätten eintrafen. Bei idealen Bedingungen zeigten sie, wie in ihrer Region der Winter vertrieben wird, wie mit überlieferten Traditionen umgangen wird. Es kam zu einem intensiven Austausch unter traditionellen Fasnachtsgruppen.
Den Gruppen hat dies viel gebracht, den Brauchtums-Interessierten auch. Das Publikum fand sich sehr zahlreich ein, und das internationale Medieninteresse war gross.
Die Röllelibutzen liessen es aber nicht bei diesem Treffen bewenden. Im Altstätter Museum wurden Kostüme sämtlicher Gruppen gezeigt. Das Jubiläum nahm der Verein auch zum Anlass, die eigene Geschichte aufzuarbeiten. Nicht einfach eine Hymne an den eigenen Brauch, sondern eine wissenschaftliche Ausleuchtung der Entwicklung über Jahrhunderte. Dabei zeigte sich, dass Fasnacht immer auch ein Spiegelbild politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen ist.
Für die Darstellung der Gegenwart wurde das Medium Film gewählt. Auch das bewusst keine Hymne. Vielmehr zeigt diese Dokumentation ungeschminkt, wie Brauchtum heute gelebt wird. Der Film geht auch auf das Spannungsfeld zwischen dem Erhalt einer alten Fasnachtstradition und neuen Bedürfnissen ein.
Die Art und Weise, wie die Röllelibutzen ihr Jubiläum begingen, ist einzigartig. Ganz besonders
- wie sie in vielerlei Hinsicht den Blick über die Grenzen von Ländern, Sprachen und Zeiten öffneten;
- wie sie traditionelle Fasnachtsgruppen aus ganz Europa zusammenbrachten und ein grosses Publikum an diesen Begegnungen teilhaben liessen;
- wie sie neben der eh schon grossen Arbeit mit der „normalen“ Fasnacht keinen Aufwand scheuten, um ein vielseitiges, höchst attraktives Kultur- und Brauchtumstreffen durchzuführen.
Unübersehbar war der hohe Qualitätsanspruch, den die Verantwortlichen des Röllelibutzen Vereins an sämtliche Aktivitäten rund um ihr Jubiläum stellten. Diesen Ansprüchen wurden sie voll und ganz gerecht. Das ist in vielerlei Hinsicht beispielhaft.
Das Brauchtumstreffen und die Jubiläumsaktivitäten sind inzwischen Geschichte. Mit Sicherheit werden die Röllelibutzen auch in der Nach-Corona-Zeit ihren Brauch pflegen und Jahr für Jahr den geheimnisvollen Zauber ihrer Fasnacht zur Entfaltung bringen. Ihre Aufführungen werden auch in Zukunft einen herausragenden Bestandteil des St.Galler Brauchtums darstellen.
Mit dem Jubiläum haben die Röllelibutzen bewiesen, dass sie nicht nur Bewahrer einer alten Tradition, sondern auch geschickte Brückenbauer sind. Dafür gebührt ihnen Dank und Anerkennung. Die Würdigung geht stellvertretend für den ganzen Röllelibutzen Verein an Butzenkönig Carlo Pinardi und an OK-Präsident Alex Zenhäusern.