Was sich zunächst wie eine weiteres Kuriosum aus der unendlichen Schatzkiste von Avantgarde-, Aktions- oder Verpackungskünstlern anhört, ist in Altstätten wohl ernst gemeint. Der Stadtrat hat entsprechende Geldmittel freigemacht, damit die beiden Konzeptkünstler und Zwillingsbrüder Frank und Patrik Riklin im Städtli ihr Projekt eines analogen Fadennetzes verwirklichen können. Mithilfe von Spagat, Schnüren, Wollfäden etc., die in einer ersten Projektphase bei den Einwohnern gesammelt werden, sollen alle Haushalte Altstättens miteinander vernetzt werden. In den letzten Tagen wahren bereits Fadensammler unterwegs und erläuterten das Vorhaben den verdutzten Einwohnern. Donnerstagabend wurde dann im Sonnensaal das Projekt etwa dreissig erschienenen Neugierigen und über Live-Stream allen Interessierten vorgestellt.
Der Faden, der im Kopf bleibt
Bis nach Lienz und auf den hohen Kasten
Wohlgemerkt: alle Altstätter Haushalte, inklusive der Exklave Lienz und dem Hohen Kasten sollen an das analoge Fadennetz angeschlossen werden. «Wir haben berechnet, dass es dazu rund 650 Kilometer Faden brauchen wird», erläutern die Riklin-Brüder. Ursprünglich sollte dieses Kunstprojekt in Limmattal umgesetzt werden, was aber nicht gelang. Jetzt Altstätten. Wo sich Politiker fanden, die gewillt waren, sich die Aktion bereits im Sommer in einem Workshop vorstellen zu lassen. «Der Stadtrat war anschliessend sehr positiv gestimmt», erzählte Gemeindepräsident Ruedi Mattle.
Denn das Projekt solle drei Punkte klar herausheben: im vergangenen Jahrzehnt hätten wir eine rasante digitale Entwicklung ohne entsprechende Transformation des sozialen Verhaltens erlebt; wir würden derzeit in einer Informationsblase leben; und das AAF sorge für eine neue Verbindung mit anderen Menschen. «Ein Faden durch jede Stube und jede Wohnung, das schafft Gemeinsamkeit und sorgt für eine Stärkung unserer Identität», so Ruedi Mattle.
So sollen also alle in den nächsten Monaten gesammelten Fäden miteinander verknüpft und alle Objekte des Städtlis miteinander verbunden werden. Strassen oder sonstige Hindernisse werden nach Möglichkeit unterirdisch in vorhandenen Kanalschächten gequert. Und wo gar nicht anders möglich, soll sogar der Asphalt aufgeschlitzt oder Betonplatten angehoben werden, um den Faden zu verlegen.
Der Faden im Kopf ist das Kunstwerk
«Wir wollen dazu eine Taskforce mit jungen Menschen gründen», ergänzt einer der nicht unterscheidbaren Riklin-Brüder, «diese sollen die optimalen Wege herausfinden, wie Hindernisse gequert werden können. Denn eines ist wichtig: Der Faden darf nicht reissen, sonst ist das Projekt tot.» Und der andere Bruder vielsagend: «Der Faden, der im Kopf bleibt, ist das Kunstwerk, der Mythos.»
Wie es mit diesem Projekt weitergeht? Der Stadtrat hat einmal einen Zuschuss eines Drittels der Kosten der Pilotphase in Höhe von gesamt 95´000 Franken, also rund 63´000 Franken bewilligt. Jetzt werden die Fäden gesammelt und weiterhin alle Beteiligten informiert. Voraussichtlich im Frühherbst 2021 sollen die Gesamtkosten des Projekts vorliegen und dem Stimmvolk zur Abstimmung vorgelegt werden. Spätestens bis dann wird klar sein, ob die Initianten das «Analoge Altstätter Fadennetz» als ernsthaftes Projekt verfolgen, oder ob es sich in Wahrheit nur um einen Realsatirestreich der Riklin-Brüder handelt.