Es war ein Theaterereignis der Sonderklasse, das die Freilichtbühne Rüthi bei der Premiere und Uraufführung ihres Stücks «Der kopflose Reiter» am Freitagabend ablieferte. Sonderklasse das imposante Bühnenbild, das von drei eigens erstellten Häusern dominiert wurde. Sonderklasse die Publikums-Infrastruktur mit Verpflegungszelt, Bars und liebevoll dekoriertem Empfangsbereich. Sonderklasse die ausgezeichnete Leistung der Laiendarsteller, die sich selbst übertrafen. Und Sonderklasse natürlich auch der Besuch, denn die temporäre Tribüne war mit 603 Besuchern bis auf den letzten Platz gefüllt.
Rosse, kopflose Reiter und ein Riesenerfolg
Ein schauriges Drama
«Der kopflose Reiter» wurde angelehnt an die amerikanische Legende «Sleepy Hollow»von der künstlerischen Leiterin und Regisseurin des Stücks Simona Specker gemeinsam mit Michael Rechsteiner extra für die Freilichtaufführung in Rüthi geschrieben. Ein schauriges, aber mit humorvollen Einlagen gespicktes Drama, das in einem Rheintaler Dorf im Jahre 1864, dem Jahr der Einführung der Schulpflicht spielt.
Ein neuer, bestens motivierter Lehrer kommt in Person von David Wikart ins Dorf. Und wird von Teilen der Bevölkerung, die Innovationen unfreundlich gegenübersteht, abgelehnt. Zur gleichen Zeit geschehen mysteriöse Mordfälle. Ein unbekannter kopfloser Reiter enthauptet zunächst scheinbar wahllos Dorfbewohner. Und seine Spur verläuft ins Nichts.
Logische Schlussfolgerungen
Lehrer Wikart versucht, der Sache mit logischen Schlussfolgerungen auf den Grund zu gehen. Wer ist dieser kopflose Unhold, der scheinbar ohne Plan und Ziel meuchelt? Letztlich führen seine Nachforschungen zur Lösung dieses Rätsels. Doch mehr sei nicht verraten. Denn schliesslich stehen ab heute, Samstag, noch weitere vierzehn Vorstellungen auf dem Programm. Deren Besuch dringend zu empfehlen ist. Ebenso dringend zu empfehlen ist ein baldiger Ticketkauf, denn bereits vier dieser Theaterevents sind ausverkauft.
Video: Ulrike Huber
Eindrücklich und grossartig war das Bühnenbild. Was das Bauteam der Freilichtbühne Rüthi da auf den Platz gezaubert hat, muss keinen Vergleich scheuen. Ein kleines Dorf ist auf der freien Spielfläche entstanden. Mit Häusern, deren Fassaden nach oben aufgezogen wurden, um dem Geschehnissen in der Dorfwirtschaft oder der Schule beiwohnen zu können. Mit einer pittoresken am Hang stehenden Kirche und mit einer Hintergrundlandschaft, die perfekt in das Spiel miteinbezogen wurde.
Video: Ulrike Huber
Grausliche Enthauptungen
Wie etwa bei den Schlüsselszenen, den grauslichen Enthauptungen durch den kopflosen Reiter. Der sich jeweils als mystische Silhouette im Nebel zwischen den Bäumen auf dem Hügel hinter dem eigentlichen Spielort ankündigte. Oder bei den wilden Jagden der Kavallerie, die immer wieder den Steilhang, der zwischen Dorfgasthaus und Schule beginnt, hinaufjagten. Phantastische Bilder, die sich dem Zuschauer einprägen.
Überhaupt spielte die Reiterei, schon ein Markenzeichen der früheren Aufführungen der Freilichtbühne Rüthi, wieder eine Hauptrolle. Über zwanzig Pferde und ihre Reiter wirkten mit, donnerten immer wieder spektakulär durch die Szenerie oder zogen alte Fuhrwerke an den von Regisseurin Simona Specker virtuos dirigierten grossen Menschenmengen vorbei. Wie gut die Kavallerie in das Bühnengeschehen eingebunden war, zeigte sich auch beim Reitturnier, bei dem die Pferdedirigenten mit ihren Lanzen Ringe und Äpfel im vollen Karacho durchbohrten. Einfach spektakulär!
Laienhandwerk kaum angemerkt
Eindrücklich und grossartig auch die Leistung der Laiendarsteller, denen man das Laienhandwerk kaum anmerkt. So gab Kevin Oeler einen perfekt glaubwürdigen Lehrer David Wikart, Philip Greiser einen zornigen und allen Neuerungen zutiefst abgeneigten Zimmermann Adam Brunner. Phantastisch auch die Darstellung der zart-forschen jungen Gutsbesitzerin Magali Signer, die mit dem neuen Lehrer anbändeln will, durch Alexandra Gächter. Hervorstechend die Performance von Peter Kretz, die mit tragender, tiefer Politikerstimme und glaubwürdiger Statur den Gemeindeammann Emil Hercules Gunstensperger verkörperte.
Video: Ulrike Huber
Wobei darauf zu verweisen ist, dass die wichtigsten Rollen alle zweifach besetzt sind, wobei sich die im aufgrund seiner schönen Gestaltung und des informativen Inhalts sehr zu empfehlenden Programmheft aufgeführten Besetzungen «Kopf» und «Krage» bei den Aufführungen abwechseln werden.
Ausstattung, Kostüm und Maske
Nicht zu vergessen die Leistungen all jener, die im Hintergrund werken. Denn Austattung, Kostüm und Maske waren eine Klasse für sich. Wie auch die Spezialeffekte und die Tontechnik. Derart glaubwürdig ein Haus abbrennen und rauchen zu lassen, ohne wirklich mit Feuer zu hantieren, das hat Seltenheitswert.
Die gesamte Vorstellung wurde in der Art eines Filmsoundtracks mit eigens komponierter Musik live begleitet. Von den Musikern Andi Louis, Paul Udo Winter und Tiina Tomson, die einen genialen Soundteppich strickten und so beim Publikum niemals Langeweile aufkommen liessen, auch wenn sich auf der Bühne gerade einmal nichts tat. Was äusserst selten passierte.
Die Zuschauer dankten den etwa einhundert Mitwirkenden ihre stupende Leistung mit donnerndem, anhaltenden Applaus. Dieser Premierenbesuch war für alle ein grosses Vergnügen.