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Wirtschaft
13.11.2020
13.11.2020 20:55 Uhr

AGV-Lohntalk – «Vertrauen soll Kontrolle ersetzen»

AGV Rheintal Präsidentin Brigitte Lüchinger begrüsste die Vortragenden (Bilder: Ulrike Huber)
AGV Rheintal Präsidentin Brigitte Lüchinger begrüsste die Vortragenden (Bilder: Ulrike Huber) Bild: Ulrike Huber
Der jährliche AGV-Lohn-Apéro fand dieses Jahr unter dem neuen Titel „AGV-Lohn-Talk“ im Metropol in Widnau statt. Ohne Besucher, dafür mit einem Live-Stream ins Netz.

AGV Rheintal Präsidentin Brigitte Lüchinger konnte auch dieses Jahr wieder namhafte Personen aus Wirtschaft und Verwaltung als Vortragende für diesen traditionellen Termin gewinnen. Aber in Coronazeiten ist vieles anders. So fand die Veranstaltung vor leeren Stühlen statt. Bis auf die Berichterstatter der Medien waren im Metropol in Widnau keine Zuschauer zugelassen. Diese hatten sich in Büros oder Zuhause vor den Bildschirmen versammelt, um den Live-Stream der Veranstaltung zu verfolgen.

Entwicklung der Arbeitswelt durch digitale Innovationen

Was nicht anders war als in früheren Jahren waren die informativen Vorträge, die eine Voraussicht auf die Konjunkturdaten und Lohnentwicklungen des kommenden Jahres gaben. Und eine Podiumsdiskussion, die sich um das Schlagwort «New Work» drehte. Also um die Entwicklung, die die Arbeitswelt nicht zuletzt aufgrund von Corona und den digitalen Innovationen für Homeworking, Sitzungen über Skype oder Zoom am Bildschirm und daraus folgenden flachen Hierarchien womöglich revolutionieren.

Vorstellung der vier Vortragenden. Bild: Ulrike Huber

«Ich freue mich ausserordentlich, dieses Jahr ausschliesslich Frauen auf der Bühne begrüssen zu dürfen. Frauen, die im führenden Management ihrer Unternehmen tätig und in der Mehrheit «Familienfrauen» mit Kindern sind», begrüsste Brigitte Lüchinger die Zuschauer des Live-Streams an den Bildschirmen draussen. Einen Dank richtete die Arbeitgebervertreterin an den Kanton St. Gallen, der mit seinen Quarantäneregeln für klare Verhältnisse und dafür gesorgt habe, dass auch in den Bereichen, in denen handwerklich oder an Maschinen gearbeitet wird und kein Homeoffice möglich ist, der Betrieb weiterlaufen kann.

Auch Gewinner der Coronakrise

Zweifellos seien derzeit viele Unternehmen in Schwierigkeiten, aber es gebe auch Gewinner in der Coronakrise, wie die Lebensmittel- und Verpackungsindustrie. Mit der vom Bund und Kanton möglich gemachten Massnahme der umfangreichen Genehmigung von Kurzarbeit und der Einführung von vielen Homeoffice-Arbeitsplätzen sei es gelungen, im Rheintal die Arbeitslosenquote nicht über 3,9 % (Vorjahr 1,9 %) steigen zu lassen. Was auch die erste Vortragende Katherine Broder, VR-Präsidentin der Geomax Positioning bei Leica Geosystems AG, bestätigte. Sie zeigte auf, dass im Rheintal keine Kündigungswelle zu erwarten sein. «Das grössere Problem für unsere Betriebe werden die zunehmenden Engpässe beim Cash-Flow und der Liquidität sein.»

Katherine Broder von Leica Geosystems zitierte Albert Einstein: «Inmitten der Schwierigkeiten liegen die Möglichkeiten.» Bild: Ulrike Huber

Doch die derzeitige Krise biete den Betrieben auch grosse Chancen, die es zu nutzen gelte. So die Digitalisierung von Prozessen, sonstige Prozessoptimierungen und ein intensivierter Kontakt mit Geschäftspartnern. «Die derzeit grossen Herausforderungen sind die Liquidität, Anpassung der Lieferketten, die Unsicherheit an den Weltmärkten und der starke Franken.» Katherin Broder schloss mit einem Bonmot von Albert Einstein: «Inmitten der Schwierigkeiten liegen die Möglichkeiten.»

Regierungsrätin Dr. Laura Bucher aus St.Margrethen: «Das Steueraufkommen der juristischen Personen wird um 15 % sinken.» Bild: Ulrike Huber

Auswirkungen auf die öffentliche Verwaltung

Regierungsrätin Dr. Laura Bucher berichtete von den Auswirkungen der derzeitigen Situation auf die öffentliche Verwaltung. Bei der ersten Coronawelle seien 9´400 Anträge auf Kurzarbeit zu behandeln gewesen. Jetzt in der zweiten Welle sei diese Zahl auf 1´900 Anträge gesunken, was heisst, dass kantonsweit etwa jeder zehnte Arbeitnehmer in Kurzarbeit ist. Natürlich werde es auch starke Auswirkungen auf die Steuereinnahmen geben. «Das Steueraufkommen der juristischen Personen wird um 15 % sinken.» Weshalb auch kaum mit Lohnerhöhungen bei öffentlich Bediensteten in Kanton und Gemeinden gerechnet werden könne. «Einige Gemeinden haben schon jetzt angekündigt, vollkommen auf Lohnerhöhungen zu verzichten.»

Andrea Cristuzzi referierte über die Lage am Immobilienmarkt. Bild: Ulrike Huber

Hörenswert auch der Vortrag von Andrea Cristuzzi, Geschäftsführerin bei der Cristuzzi Immobilien Gruppe. Sie relativierte die derzeit hohe Leerstandsquote bei den Wohnungen. Denn der grosse Ausreisser bei der Gemeinde Au-Heerbrugg mit derzeit 3% Leerständen müsse in Relation zu den vielen jüngst bezugsfertigen Neubauten in diesem Raum gesehen werden. «Im restlichen Rheintal liegt die Leerstandsquote bei den eigentlich normalen ein bis zwei Prozent.» Die voraussichtliche Lohnentwicklung bei den Dienstleistern bewege sich bei 38 % der befragten Unternehmen zwischen 0 und 0,5 % Erhöhung. 27 % gaben an, keinerlei Erhöhungen vorzunehmen.

Nadia Sieber von der Siegmund Sieber AG: «Sonst trifft es immer den Bau zuerst!» Bild: Ulrike Huber

Entwicklung in der Baubranche gut

Last but not least berichtete Nadia Sieber von der Siegmund Sieber AG Betonwerken über die Entwicklung in der Baubranche. «Sonst trifft es immer den Bau zuerst!» Diesmal offensichtlich nicht, denn die Auftragsbücher seien voll, die Hypothekarlage stabil und die letzten Jahre ausserordentlich gut für die Baubranche gewesen. Weshalb es in den unterschiedlichen Branchen zum Teil kleine Lohnerhöhungen zwischen 0,5 und 1,0 % geben werde. Bei den Gipsern und Malern wurde generell eine Erhöhung um 30 Franken pro Monat vereinbart. Allerdings seien in manchen Branchen die Gespräche der Tarifpartner auch gescheitert.

An der folgenden Podiumsdiskussion, die von Brigitte Lüchinger geleitet wurde, nahmen neben NR Diana Gutjahr von der Ernst Fischer AG aus Romanshorn Regierungsrätin Laura Bucher und Andrea Cristuzzi teil und talkten zum Thema «New Work – Modewort oder Zukunft?». Was ist denn überhaupt unter «New Work» zu verstehen? Das perfekte Beispiel hierfür ist wohl das Arbeiten im Homeoffice. Mehr Selbstorganisation und Eigenverantwortung für den Arbeitnehmer, mehr zweckorientiertes Arbeiten, orts- und zeitflexible Tätigkeiten und hierarchiearme und agile Arbeit.

  • AGV-Geschäftsführer RA Thomas Bolt am Regiepult. Bild: Ulrike Huber
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  • NR Diana Gutjahr verwies darauf, dass "New Work" hohe Anforderungen an vermehrte Kommunikation stelle. Bild: Ulrike Huber
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  • Die Veranstaltung wurde als Live-Stream ins Netz übertragen. Bild: Ulrike Huber
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  • «Ich habe natürlich einen anderen Führungsstil als mein Vorgänger», so Dr. Laura Bucher in der Podiumsdiskussion. Bild: Ulrike Huber
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  • Die Podiumsdiskussion drehte sich um das Thema «New Work» Bild: Ulrike Huber
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  • Führte als Moderatorin gekonnt durch die Podiumsdiskussion: Brigitte Lüchinger. Bild: Ulrike Huber
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Mehr Kommunikation notwendig

 Wie Diana Gutjahr und Andrea Cristuzzi unisono erklärten, halte diese Form der Arbeit auch für den Arbeitgeber grosse Herausforderungen bereit. Denn es wäre noch mehr Kommunikation vonnöten als sonst. Diana Gutjahr verwies darauf, dass die Anwesenheit etwa von Ingenieuren in produzierenden Betrieben aufgrund der kurzen Wege schon besser sei. «Da ist Agilität und Flexibilität von allen Teilnehmern gefragt. Wir mussten sogar wieder mehr Hierarchiestufen einführen.» Einig waren sich die Teilnehmerinnen der Podiumsdiskussion, dass Führung jetzt ganz anders sein müsse: «Viel mehr Teamarbeit und gemeinsame Ziele. Es gibt keinen Firmenpatron mehr, der vorausläuft und alle folgen hinterher.»

Laura Bucher berichtete, dass dieser Kulturwandel natürlich auch die öffentliche Verwaltung erfasst habe. «Auch ich pflege einen anderen Führungsstil als meine Vorgänger, arbeite viel mehr mit Workshops und an die Mitarbeiter gerichtete Videobotschaften. Und meine Vorzimmerdame ist zur echten Assistentin mutiert.» Das passende Schlusswort zum Thema fand Andrea Cristuzzi: «Mein Wunsch: Vertrauen soll Kontrolle ersetzen.»

 

Die aktuellen Kennzahlen zu den Vorträgen bei AGV-Lohntalk 2020

Exporte Schweiz 3. Quartal 2020 53.6 Mia.(58.5 Mia.) = Minus 8.4 %

Stellensuchende Oktober 2020

Schweiz 241´460 (176´495), Kanton St. Gallen 13´605 (9´684), Rheintal 2´254 (1´518).

Arbeitslosenquote

Schweiz 3.2 % (2.2 %), Kanton St. Gallen 2.6 % (1,7 %), Rheintal 3.0 % (1.9 %).

Grenzgänger Rheintal 2. Quartal 2020 4´453 (4´167).

Kurzarbeit Oktober 2020

Voranmeldungen Firmen Kanton St. Gallen 2´092 (15), Rheintal 415 (7).

Betroffene Mitarbeitende Kanton St. Gallen 30´776 (553), Rheintal 6´886 (239)

Derzeit befinden sich im Homeoffice: Kernregion Ostschweiz 28.6 %, Rheintal 25.9 %.

 

 

gmh/uh