Es war dann doch eine seltsame, ja geradezu skurrile Atmosphäre in der Aula der Kantonsschule Heerbrugg. Eine schüttere Anzahl an gesichtsvermummten Gestalten verteilte sich an den zur Abstandswahrung aufgestellten Tischen. Schade, denn Irena Brežná, die aus ihren bekannten Büchern «Die undankbare Fremde» und «Wie ich auf die Welt kam» vorlas, hätte sich mehr Zuhörer verdient. Doch es ist den nichterschienenen Kulturfreunden nicht zu verdenken, wenn sie aus Angst vor dem Coronavirus doch lieber im sicheren Zuhause geblieben sind.
Der Groll gegen das Unvertraute
Flucht in die Schweiz
Wie Dr. Meinrad Vögele, Präsident der RGML, zu Beginn der Vorlesung ausführte, hat sich die Autorin, die mit ihren Eltern im Zuge der russischen Besatzung der Tschechoslowakei zur gewaltsamen Beendigung des «Prager Frühlings» im Jahr 1968 in die Schweiz flüchtete, ihr Leben lang gegen das Gebot des Schweigens aufgebäumt. Entgegen der steten Mahnung ihrer Mutter «Denke was du willst, aber sage es nicht.»
Die Autorin, Journalistin, Kriegsreporterin und Psychologin Irena Brežná forderte in ihren massgeblichen Werken, aus denen sie vorgelesen hat, ihr Recht auf Fremd- und Andersartigkeit ein. Denn sie hat ein Leben lang mit der Schweiz gefremdelt. Was in ihren autobiographisch gefärbten Romanen und Kurzgeschichten auch immer wieder zum Ausdruck kommt.
Nicht als Befreier, sondern als Besatzer
Sie erzählt Geschichten aus ihrer eigenen Wahrnehmung, Geschichten über den Einmarsch der Roten Armee in der damaligen CSSR, über die Soldaten, die erkennen mussten, dass sie nicht als Befreier, sondern als Besatzer gekommen waren. So wurde ein Teil der tschechisch-slowakischen Bevölkerung, vor allem die «Intelligenzija» zur Flucht vor den Verbündeten in ein damals eigentlich verfeindetes Land, eine verfeindete Kultur gezwungen.
Das junge Mädchen, dass damals in die Schweiz kam, verkroch sich «im Groll gegen das Unbekannte». Sie kam mit ihren Eltern mit dem Zug über Feldkirch und Buchs nach Basel, und ist von dort «nie mehr weggekommen». Was verwundert: Irena Brežná fand Trost in der hochdeutschen Sprache. «Ich fühle mich als Künstlerin freier in deutscher Sprache!» Sie kenne einige Migrations-Autoren, die genau gleich fühlen.
Vom Soldaten zum Oppositionsführer
Die Lesung führte von einem usbekischen Soldaten, der erst als Besatzer in Bratislava verstanden hat, dass es sich bei seiner Heimat Usbekistan um eine russische Kolonie handelte, und der dann zum Vorsitzenden der usbekischen Oppositionspartei. Irene Brežná erzählte die wunderliche, aber wahre Geschichte über ein Interview, das Friedrich Dürenmatt einem russischen Reporter gab, und bei dem sie dolmetschte. Ein Interview, das nie ausgestrahlt wurde, weil das kleine Söhnchen des Reporters das Tonband aus Versehen löschte. Die Autorin fesselte das Publikum mit ihren Geschichten und stand dann noch lange für Fragen zur Verfügung.