«Ich danke euch allen – für die vielen Rückmeldungen, ehrlichen Worte und Zeichen der Anteilnahme.
So viele gute Menschen haben mir geschrieben. Auch solche, von denen ich lange nichts mehr gehört hatte. Das hat mich tief berührt.
Der Text über den toten 17-Jährigen war ein Impuls. Ich wusste nicht, wie er ankommen würde – und trotzdem habe ich mich entschieden, nicht zu schweigen.
Weil es in mir gebrodelt hat. Weil ich seit 1986 in der Schweiz lebe – mein ganzes Leben unter euch –, ohne je einen Schweizer Pass beantragt zu haben.
Ich habe mich integriert, eingebracht – in der Sprache, im Schreiben, in der Musik.
Und trotzdem war da immer eine leise Angst: dass mich manche nur über meine Herkunft sehen. Dass sie entscheiden wollen, ob ich dazugehöre oder nicht.
Aber tief in mir weiss ich: Ich bin Teil dieser Gesellschaft. Auch ohne die Mehrheit der Stimmen. Als Sohn eines Mannes, der für seine politischen Überzeugungen im Gefängnis sass – und einer Mutter, die nach einem gescheiterten Fluchtversuch ebenfalls eingesperrt wurde –, weiss ich, was es heisst, wenn Herkunft zum Urteil wird.
Und was es bedeutet, wenn man trotz Flucht, Verlust und Sprachlosigkeit nicht aufgibt – sondern versucht, einen Platz zu finden.
Nicht als Gast. Sondern als Mensch. Als Vater von zwei Söhnen, die multikulturell aufwachsen – seit 22 Jahren mit einer Schweizerin an meiner Seite –, ist es für mich selbstverständlich, Hoffnung zu säen. An das Gute im Menschen zu glauben. Und ihnen beizubringen, aufzustehen, wenn Unrecht geschieht.
So wurde es mir selbst vorgelebt. Mein Vater zeigte mir schon früh Filme wie Spartacus – über einen Mann, der als Sklave geboren wurde und sich gegen das System erhob, das ihn brechen wollte. Und später fand ich mich wieder in jenen, die wie Don Quijote gegen Windmühlen ritten, wie Kafka Figuren schuf, die gegen das Absurde verloren und in Dostojewskis Idiot, einem Menschen, der zu aufrichtig war für eine Welt voller Masken.
Manche kämpfen mit Waffen, andere mit Worten, und manche einfach durch das, was sie sind: nicht bereit, zu lügen.
Und als Koch – aber vor allem als Mensch – schmerzt es mich zutiefst, dass sich seit meiner Kindheit nichts am weltweiten Ungleichgewicht verändert hat.
Seit Jahrzehnten werfen wir Tonnen an Lebensmitteln weg – Gemüse, das nicht «ideal» genug aussieht für die Regale.
Weil es nicht symmetrisch gewachsen ist. Weil es nicht normgerecht passt. Wir entsorgen, was die Natur uns schenkt – während in anderen Teilen der Welt Millionen hungern. Das war schon so, als ich Kind war, als ich zum ersten Mal von dieser Ungerechtigkeit hörte.
Und heute ist es immer noch so. Nur, dass es mittlerweile jedes Jahr über 1 Milliarde Tonnen verschwendeter Lebensmittel weltweit sind.
Wir Eltern tragen Verantwortung. Nicht nur für die Welt in uns – sondern auch für die Welt, die wir hinterlassen.
Wir leben in einer Zeit, in der Menschlichkeit leise wird – und Hass laut. In der Menschen wegen ihrer Herkunft oder Flucht verachtet werden.
In der in Gaza eine humanitäre Katastrophe geschieht – und die Welt zuschaut. In der in der Ukraine seit Jahren Krieg herrscht – mitten in Europa.
Und gleichzeitig toben weltweit Dutzende weitere Konflikte, von denen wir nicht einmal die Namen kennen. Nicht, weil sie weniger schlimm wären – sondern weil sie nicht in unsere Nachrichten passen.
Und während Millionen ums Überleben kämpfen, besitzen laut Oxfam nur vier der reichsten Männer Afrikas mehr Vermögen als die ärmere Hälfte des Kontinents – also mehr als 750 Millionen Menschen. Ein Kontinent voller Ressourcen – aber ohne gerechte Verteilung. Das ist keine Tragödie. Das ist System.
Und dann: Ein amerikanischer Präsident, der sich schon in den 1990er-Jahren in Szene setzte – mit einem Auftritt im Film Kevin – Allein in New York, später sogar als Figur in einer Wrestling-Show.
Und heute führt er seine Rolle fort – fahrig, ungreifbar, während er Pressefreiheit infrage stellt und Fakenews zur Etikette erhebt.
Was bleibt? Hoffnung – durch Erinnerung. Erinnerung an Menschen wie Paul Grüninger, um nur in unserem kleinen Rheintal zu bleiben:
Ein Polizeikommandant, der jüdischen Flüchtlingen das Leben rettete – obwohl es ihn seinen Beruf, seine Pension und sein Ansehen kostete.
Solche Menschen zeigen uns: Menschlichkeit beginnt oft dort, wo das Gesetz endet.
Ich habe nichts zu verlieren – ausser den Mann im Spiegel. Und dem will ich am Ende des Tages in die Augen schauen können.
Wir denken oft: Im Kleinen lässt sich nichts verändern. Aber genau im Kleinen beginnt die Veränderung. Mit einem Gedanken. Mit einem Wort. Mit dem Mut, nicht zu schweigen.»
Shqipton Rexhaj, Montlingen