Sich nicht auf «Geschenke» verlassen
Und mit Boni ist es so eine Sache. Sie sind ein geschenktes Gut, können aber auch schnell wieder verjubelt werden. Lebensqualität benötigt Grundlagen, und die schafft nun einmal die Wirtschaft. Diese profitiert zwar von natürlichen Gegebenheiten, sie reichen aber nicht, um nachhaltig erfolgreich zu bleiben.
Deshalb ist es zwar verständlich, aber nicht besonders weitsichtig, die geschenkten Realitäten wie die Geografie in den Vordergrund zu stellen. Das Rheintal liege «im ländlichen Herzen des urbanen Triangels Zürich, München und Mailand», schreiben die Vermarkter der Region – was stimmt, aber eben nicht direkt eine Eigenleistung, sondern ein Ergebnis der Weltgeschichte ist.
Wie viele der über 5000 Firmen im Rheintal profitieren direkt von diesem magischen Dreieck? Welcher Schreiner zieht gerade eine florierende Partnerschaft mit einem norditalienischen Kollegen auf, und welcher Sanitärbetrieb sieht Süddeutschland als seinen Markt? Dass das Rheintal im Herzen von Europa liegt, ist ein wunderschöner Slogan, aber welchen Beitrag leistet diese Tatsache wirklich für die Erfolgsgeschichte?
Der Zeitgeist als Fallstrick
Es gibt sie natürlich, die national und international tätigen Rheintaler Unternehmen, die auf kurze Distanzen zu den Metropolen angewiesen sind. Aber es gäbe sie vermutlich auch mit etwas mehr Distanz zu ausländischen Metropolen. Zwar sind die Staaten der Europäischen Union und dort vor allem unsere direkten Nachbarn Deutschland und Österreich in der Tat die wichtigsten Exportländer für das Rheintal. Aber es wäre naiv zu glauben, dass der entscheidende Faktor dabei die paar Dutzend Kilometer sind, die uns vom Thurgau oder Graubünden trennen.
Man wird nicht allein aufgrund von Distanzen zum Exportkönig. Sie sind nur eine einzelne Zutat im Erfolgsrezept. Stärker ins Gewicht fallen selbst erarbeitete oder auch von der Mentalität einer Region begünstigte Elemente wie hohe Qualität und Zuverlässigkeit. Zürich, Mailand und München werden für alle Ewigkeit gleich weit vom Rheintal entfernt sein wie heute. Die echten Stellschrauben sind diejenigen, an denen man selbst drehen kann.
Diesbezüglich darf man fürs Rheintal zwar optimistisch sein, weil Eigenverantwortung und Pflichtbewusstsein nach wie vor gross geschrieben werden. Aber es lauern auch hier Fallstricke. Gerade grosse Unternehmen drohen dann und wann ihre Wurzeln zu verlieren und sich an globale Entwicklungen anzulehnen. Im Zug des Zeitgeists haben auch in der Schweiz Chefetagen begonnen, der Symbolpolitik zu viel Raum zu schenken. Mit etwas Verspätung gegenüber den USA nehmen plötzlich Stichworte wie Diversität und Nachhaltigkeit übermässig viel Raum ein.
Was nicht heisst, dass Wirtschaft nicht nachhaltig sein soll. Nur war das bei erfolgreichen Firmen schon immer ein Teil der DNA, weil – entgegen negativer Klischees – Unternehmer sich sehr wohl bewusst sind, dass auch ihnen nicht egal sein kann, wie es dem Planeten geht. Doch an die Stelle einer ausgewogenen Balance zwischen Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit tritt immer öfter eine Art Weltrettungsplan, der die Mission über die Vernunft stellt. Die Gefahr ist im Rheintal, wo der gesunde Menschenverstand noch immer eine harte Währung ist, zwar kleiner als in urbanen Räumen. Sie besteht aber auch hier.