Ein Grossteil der Satire-Fans kennt Birte Schneider, den Side-Kick von Oliver Welke in der bekannten und beliebten «heute-Show» im ZDF. Birte Schneider ist das Alter Ego der Kabarettistin Christine Prayon, die am Samstagabend im Diogenestheater mit ihrem aktuellen Programm «Abschiedstour». Ein Programm, das bereits aus 2019 stamme, und wegen «Dingens», das zwei Jahre lang Auftritte verhindert habe, immer wieder verschoben wurde. Auch weil sie selbst «Dingens» und dann sogar «Long-Dingens» gehabt habe.
Ein Teil der «heute Show» im Diogenes
Ganz grosse Satire-Kunst
Selten war ein Titel so irreführend wie dieser. Zum Glück, denn kein anderer Kabarettist und keine Kabarettistin sind derzeit so gut wie die gebürtige Bonnerin, so eloquent, so tiefsinnig und so vielschichtig. Was Prayon auf die Bühne bringt, ist wirklich ganz grosse Satire-Kunst, mit aufrüttelnder Rhetorik und vor allem weitgehend ohne Pointen. Schluss mit lustig. Mit einer Utopie als unerreichbares Ideal und als Motor für neue Denkprozesse, die im Kleinen schon funktionieren. Car- und Food-Sharing und Open-Source-Projekte zeigen ja, was möglich ist, ohne gleich große Hierarchien aufzubauen. Schade nur, dass der Mensch zu sehr Raubtier ist, um diese Modelle auf nationaler und globaler Ebene umzusetzen, als Kommunismus in Reinform, ohne die Macht-Elite, die sich unweigerlich bildet. Nein, so geht das nicht. «Aber es ist eine schöne Idee.»
Kabarett ist tot. Sagt zumindest Christine Prayon. Bei gläsernen Menschen gibt es schliesslich nichts mehr, das die Satire sichtbar machen kann, Kritik ist ohnehin derzeit nicht sonderlich beliebt, und Witze kann man über die aktuelle Situation ohnehin nicht mehr machen. In Zeiten, in denen die Nachrichten selbst nur noch Satire sind, bleibt nur ein Schlussstrich. Was sie zwei Minuten nach Beginn der Vorstellung auch macht. Und schweigt. Ehe sie dann natürlich doch fortfährt. Und über die Welt und links und rechts politisiert und philosophiert.
Betretenes Schweigen
Im weiteren Verlauf schlüpft die begnadete Satirikerin dann in die Rolle des «GröKotz», des grössten Comedians aller Zeiten. Einem Proleten ohne Moral, der sein Publikum mit Sprüchen wie «Heute wird gelacht und nicht gedacht» unterhält. Ein rechtspopulistischer Pappkamerad namens «Paul Pogrom». Der macht sich mit prolligem Ruhrpott-Slang über alles her, was dem Linksintellektuellen heilig ist: Gender-Beauftragte, Metoo oder das Wort «Diversifikation». «Die Leute können ruhig denken, ich sei ein Arschloch, so lange sie sich nur mit mir identifizieren», sagt er im fiktiven Interview mit einer Moderatorin. Seine extremsten Aussagen zu rechten (AfD-) Themen ernten doch tatsächlich auch im Diogenes ein – zugegebenermassen ungläubiges – Gelächter, während Prayon mit ihren philosophischen Ansätzen nur betretenes Schweigen verursacht.
Gnadenlos reisst Christine Prayon die dünnen Mäntel der Selbsttäuschung von den Menschen, nicht anklagend, aber gerade deswegen besonders schmerzhaft. Gleichzeitig zerlegt sie Comedy und Poetry-Slam, kritisiert Mittelmass und Mainstream, Anbiederung und Bequemlichkeit. Gelacht wird in diesen Momenten kaum, und wenn doch, bleibt es im Halse stecken. Über vieles könnte, sollte, müsste man nach diesem Programm diskutieren, mit vielem hat Prayon leider recht. Nur mit einer Aussage liegt sie daneben: Kabarett ist nicht tot. Sie selbst ist der lebende Beweis dafür.
Video: Ulrike Huber
Ja, diese Christine Prayon hat mit der stets überkandidelten, mit den Augen rollenden Birte Schneide aus der «heute-Show» nichts zu tun. Sie suchte in keinem Moment des Abends einen billigen Lacher, sondern reflektierte brillant die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen.