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Gast-Kommentar
Region Rheintal
30.10.2023
30.10.2023 10:05 Uhr

Im Zweifelsfall muss der Bürger ran

Bild: Marina Lutz
Wussten Sie schon, was ein «Multifunktionsstreifen» ist? Das ist ein Stück Strasse zwischen zwei Fahrspuren, das entgegen dem Begriff überhaupt keine Funktion hat. Bestaunen kann man das in St. Margrethen.

Je mehr Strassen es gibt, desto flüssiger rollt der Verkehr. Das finden eher bürgerlich gesinnte Leute und Autofahrer. Je mehr Strassen es gibt, desto mehr Autos nutzen sie, und dann staut es wieder. Das finden eher grün gesinnte Leute und Velofahrer.

Wenn zwei ideologische Lager streiten, hilft meist Logik, um das Rätsel zu lösen. Würde man die Schweizer Autobahnen auf 18 Spuren erweitern (die Übertreibung dient nur der Verdeutlichung), dann würde der Durchschnittsschweizer deshalb noch lange nicht 17 weitere Autos kaufen und 17 Chauffeure anstellen, nur um die Strasse zu füllen. Und dass Staus ein willkommener Anreiz zum massenhaften Umstieg auf den öffentlichen Verkehr sind, wird jedes Jahr mit Blick zum Gotthard widerlegt.

Wer eine Strasse zum Verschwinden bringt, rettet also nicht den Planeten, sondern raubt Pendlern wertvolle Lebenszeit. So geschehen auf der Neudorfstrasse in St. Margrethen. Zwischen dem Kreisel bei der Autobahnausfahrt und dem Zoll – zwei neuralgischen Punkten – gab es lange zwei Fahrspuren. Eine davon wurde inzwischen für den rollenden Verkehr ausser Gefecht gesetzt. Stattdessen trennt nun ein beiger Streifen zwei einzelne Fahrspuren in der Mitte. Das sieht dann so aus:

Bild: PD

Diese Konstruktion nennt sich «Multifunktionsstreifen». Welche multiplen Funktionen er haben soll, bleibt das Geheimnis der Erfinder. Angesichts der «Biene Majas», die auf dem Streifen verstreut wurden, kann man diesen höchstens für einen nächtlichen Slalom verwenden.

Alles dient der «Sicherheit»

Begründet wurde dieser Schritt damit, dass so die «Sicherheit erhöht» werde. Es klingt, als hätte es zuvor täglich reihenweise Massenkarambolagen auf der Neudorfstrasse gegeben. Ich habe mich der guten Ordnung halber kurz durch Polizeimeldungen der Vergangenheit gegraben und keinen Unfallschwerpunkt an dieser Stelle entdeckt.

Ein gewisser Stephan Gois aus St. Margrethen will die Behörden nun mit einer Petition animieren, aus dem toten Asphalt in der Mitte wieder eine Fahrspur zu machen. Rheintal24.ch hat berichtet (https://rheintal24.ch/articles/211542-petition-kurz-vor-dem-ziel). Das aus einer einfachen Beobachtung heraus: Seit der Reduktion auf eine Spur staut es wieder öfter. Womit auch klar ist, worin die Aufgabe des «Multifunktionsstreifens» besteht: Das Autofahrer ein bisschen weniger lustig zu machen.

Die Petition hat ihr Ziel von 200 Unterschriften inzwischen erreicht. Mehr wird allerdings nicht geschehen, denn eine Petition hat keine Rechtskraft. Aber irgendwann erscheint sicher ein hübsches Foto, das den Petitionär bei der Übergabe der Unterschriften an den Gemeindepräsidenten zeigt. Beide werden in die Kamera strahlen, während sich einige hundert Meter entfernt die Autos stauen, und danach geschieht – nichts. Obschon sich das Problem einfach lösen liess. Denn die zweite Fahrspur ist ja immer noch da. Man kann sie nur nicht verwenden. Sie ist gewissermassen toter Asphalt.

Wie wäre es mit Strassenkunst?

Das Engagement des Manns aus St. Margrethen ist trotz geringer Erfolgsaussichten bewundernswert. Er legt den Finger auf einen wunden Punkt. Tatsache ist, dass immer wieder irgendwo in fernen Behördenstuben Entscheidungen getroffen werden, die dann vor Ort konkrete Auswirkungen haben. Was die Leute, die entschieden haben, nicht weiter kümmern muss, weil sie in aller Regel nicht selbst betroffen sind.

Der Multifunktionsstreifen, der eigentlich ein Nullfunktionsstreifen ist, wird uns also erhalten bleiben. Als kleine Anregung: Man könnte doch auch einige völlig überteuerte, hässliche Kunstwerke von unbekannten Künstlern kaufen und sie auf dem Streifen verteilen. Damit würde man die Autofahrer gleich auch noch in der Rolle der Steuerzahler ärgern. Wenn schon behördlich verordneter Unsinn, dann bitte richtig.

Jede Woche wird «züüslat»

Die Kolumne «Züüsla mit Millius» erscheint wöchentlich nur auf rheintal24.ch. Der Auer Journalist kommentiert lokale und regionale Ereignisse mit spitzer Feder und aus einer anderen Perspektive.

Stefan Millius
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