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Kultur
14.07.2023

Hierbleiben – Weggehen – Zurückkommen

Bild: Ulrike Huber
In der letzten Ausgabe der „Kultur News“ der Rheintaler Kulturstiftung hat sich Ursula Badrutt zusammen mit aus dem Rheintal stammenden Kulturschaffenden Gedanken über die Frage des Weggehens oder Wegbleibens gestellt.

Es ist Ferienzeit und die Frage gerade sehr aktuell: weggehen oder hierbleiben? Doch nein, wir geben hier keine Ferientipps ab, wir sind auch kein Reisebüro. Die Rheintaler Kulturstiftung stellte für ihre „Kulturnews“ die Frage in den Raum: Was braucht es, damit das Rheintal für die Kulturschaffenden attraktiv ist, bleibt, wird? Und wieso Weggehen und Wegbleiben trotzdem nötig und wichtig ist.

Priska Rita Oeler

Seit sie für die Ausbildung Ende der 1970er-Jahre zuerst nach St.Gallen, dann nach Zürich an die Hochschule der Künste gezogen ist, lebt Priska Rita Oeler nicht mehr im Rheintal. Eine Rückkehr kam nie infrage. Dennoch sagt sie: «Das Rheintal ist mir sehr wichtig, es hat meine Arbeit und mich geprägt. Die Landschaft mit Blick vom Warmisberg hat sich mir eingeschrieben.» Aufgewachsen auf dem Bauernhof hoch über Altstätten, sei auch der Umgang mit Materialien für ihr künstlerisches Schaffen bis heute bestimmend. Noch immer bewahre sie den leinenen Salzsack aus dem Stall bei sich auf, und auch die Erinnerung an die an der Wand hängenden Holzrechen inspiriert die Malerin sichtlich bei den mehrdimensionalen Malereien, die sie bevorzugt mit Rohleinen anfertigt.

Das Pragmatische in der Landwirtschaft habe auch mit Ästhetik zu tun. Aber erst mit der Distanz und der dadurchmöglich gewordenen Reflexion über den Ort der Herkunft lassen sich solche Qualitäten erkennen, ist Priska Rita Oeler überzeugt. Was hält sie in der Stadt? «Ich brauche die Distanz weiterhin, sie ist mir essenztiell. Hier bin ich in produktivem Austausch mit Gleichgesinnten. In der Stadt fühle ich mich aufgehoben, akzeptiert, geschätzt, eingebunden, freier – und souverän. Aber die Verbundenheit mit dem Rheintal bleibt, und sie bleibt wichtig.»

Marion Täschler

Zurückkehren? Die Animationsfilmerin Marion Täschler, 1988 geboren und in Diepoldsau aufgewachsen, hat sich die Frage bis jetzt nicht gestellt. Sie ist nach einer Lehre für Dekorationsgestaltung für die Ausbildung zur Animationsfilmerin nach Luzern gezogen und lebt heute in Zürich. Der Entscheid wegzugehen sei mit dem Wunsch einhergegangen, etwas Anderes kennenzulernen und Neues zu erleben.

Für das Filmprojekt «Der Vegetarierkongress », angeregt durch eine Erzählung ihres älteren Bruders über ein tatsächliches Ereignis in Widnau 1999, sind sie und Co-Autor Noah Erni, mit dem sie das auf Animationsfilme spezialisierte Studio uuuh! als Produktionsfirma betreibt, für Recherche- und Interviewarbeiten zurückgekehrt. Und vielleicht, sinniert sie, ergibt sich mal eine Zusammenarbeit mit Berta Thurnherr, ihrer einstigen Kindergärtnerin, mit der sie bis heute in sporadischem Austausch steht.

Philipp Heule

Aus Zürcher Perspektive könnte das Rheintal sehr interessant sein für Kulturschaffende, ist Philipp Heule überzeugt. «Es ist ein weisser Fleck, hat etwas Raues, Authentisches. Das fasziniert mich sehr. Es geht hier auch um das Verhältnis von Peripherie und Zentrum.» Die Stadt sei übersättigt, man untergrabe einander, meint der 1986 geborene Schauspieler, Theaterregisseur, Dramaturg und Autor, der aktuell ebenfalls in Zürich lebt, wo er an der ZHdK und am Theater Hora als Dozent und Mentor tätig ist.

«Diese Rheintaler Brache hätte einen grossen Impact. Aber es braucht dazu die nötigen Räume. Ich würde sehr gerne mit meinen Stücken hierher kommen.“ Es fehle auch am Glauben an das Potential der Kultur, es fehle die nötige Neugierde, die Aufmerksamkeit.

Sandro Heule

Sein Bruder Sandro Heule, Bassist mit Vorlieben für Improvisation, elektronische Musik und Experimentelles, zudem Veranstalter und Kurator im Musikbereich, ist vor ein paar Jahren aus der Stadt nach Widnau zurückgekehrt. Er habe sich wortwörtlich zurückverliebt. Es sei auch gut, wieder in der Nähe der Eltern zu wohnen. «Ich finde es toll hier, man hat einen guten Schnauf, und vereinzelt zieht es sogar Kulturschaffende von auswärts ins Rheintal.» Sandro Heule ist – ähnlich wie Carlo Lorenzi eine Generation früher – ein wegweisender Teamplayer, Netzwerker und Möglichmacher. Ihm gelingt scheinbar mühelos der Spagat zwischen lokalem Fussabdruck und Weltverbundenheit.

Unter anderem hat er zusammen mit Patrick Kessler den Verein «Amboss & Steigbügel» und damit ein Veranstaltungsformat für die Vernetzung der Musik und Kunstszene sowie deren Publikum ins Leben gerufen, das bisher fehlte. «Amboss & Steigbügel» sei für ein städtisches Publikum konzipiert, meint er. Aber auch für hier habe er eine Vision. Das Rheintal sei sehr geeignet und attraktiv als Kulturresidenz. Eine solche Plattform würde auch Jobs für in der Kreativszene Tätige generieren.

Beni Bischof

Der weit über die Ostschweiz bekannte Künstler Beni Bischof aus Widnau schätzt die Natur, das Riet, den Rhein, findet hier Entspannung von der Hektik des Ausstellungsbetriebs. Nach Zürich, Berlin, New York ziehen wollte er nie. Er halte sich intuitiv vom sogenannten Szenedruck fern. Gedanklich befindet er sich überall auf der Welt, was Niederschlag in seiner Arbeit findet. «Du kannst dir nicht aussuchen, wo du deine Wurzeln hast. Meine sind hier.» Er sei in einer Art Reporterrolle, fühle sich auch als Undercoveragenten der Kunst. «Es gibt viel zu beobachten im Rheintal, und es kann wehtun.» Ob es die Leute hier interessiert, was er macht, weiss er nicht.

Simon Kness

Wenig Aufmerksamkeit scheint auch Simon Kness zuzukommen, was ihn aber nicht am Durchstarten hindert nach einem langen Leidensweg. Der Künstler, der nach Jahren in Wien, Berlin, Basel Anfang der Nullerjahre ins Rheintal zurückgekehrt ist, zieht aktuell viel positive Energie aus der Umgebung und der neuen Wohn- und Arbeitssituation in Altstätten. «Das Rheintal gibt mir Kraft. Ich mag die Weite, das Licht. Sehr wichtig ist auch mein Freundes- und Beziehungskreis.» Zurück zu Musiker und Veranstalter Sandro Heule. Seine Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten sind ideal – eine grosszügige Wohnung, dazu Proberaum, Atelier, Lagerraum gleich neben der Viskose in Widnau. Vergleichbares ist in Metropolen nicht mehr vorhanden.

Sein Blick gleitet über das eingezäunte Areal. «Leider wurde die Chance vertan, hier einen Ort für interdisziplinäres Zusammenspiel zu ermöglichen. Es braucht dringend Raum für die nachkommende Kulturgeneration. Aber den «guten Schnauf» will sich Sandro Heule nicht nehmen lassen. Er weiss, dass im Rheintal eine Art Subkultur möglich ist. Wirken im Verborgenen, abseits von Mainstream und Szenegebaren

Randzonen wie das Rheintal machen es noch immer vor. Es gilt, sie zu schützen und zu fördern. Hier liegen die Kraft und der Schlüssel für visionäre Raum- und Kulturentwicklung. Aber sie brauchen auch das Licht, die Sichtbarkeit, die Wertschätzung, damit sie nicht verkümmern und versiegen. Nur dann entsteht Kulturgut, das in der Region verankert und den Bezug zur Welt und zum Weltgeschehen dennoch sicherstellt.

Ursula Badrutt
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