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Rebstein
27.01.2023
27.01.2023 15:10 Uhr

«Russland kann diesen Krieg nicht gewinnen»

Die Vortragenden des Symposiums: v.l. Martin Tschirren, Moderatorin Isabel Schorer, Iryna Wetzel, Dr. Marcus Keupp, Kurt Pelda, Dr. Ulrich Schmid
Die Vortragenden des Symposiums: v.l. Martin Tschirren, Moderatorin Isabel Schorer, Iryna Wetzel, Dr. Marcus Keupp, Kurt Pelda, Dr. Ulrich Schmid Bild: Ulrike Huber
Der AGV Rheintal veranstaltete am Donnerstagabend im rinova in Rebstein in seiner Reihe «Politik und Wirtschaft» ein Symposium zum Thema «Der russisch-ukrainische Krieg und seine Auswirkungen auf uns».

AGV Präsident Klaus Brammertz begrüsste etwa achtzig Besucher zu diesem vom AGV Rheintal gemeinsam mit dem Verein St.Galler Rheintal veranstalteten Event. Er erinnerte an die tragischen Zahlen der im ukrainisch-russischen Konflikt bereits Getöteten. Das Symposium sollte die Auswirkungen dieses Krieges auf die Rheintaler Wirtschaft beleuchten.

Rund achtzig Wirtschaftstreibende waren der Einladung des AGV Rheintal gefolgt Bild: Ulrike Huber

Kreuz und quer durch die Ukraine

Isabel Schorer führte durch den Abend und stellte das Programm vor, das Dr. Kurt Pelda, Investigativ- und Kriegsreporter mit einem Vortrag zum Thema «Warum Russland in der Ukraine nicht gewinnen kann» eröffnete. Seit letztem Sommer ist Kurt Pelda für CH Media auch in der Ukraine tätig. Und hat dort in vier Monaten 17´000 Kilometer kreuz und quer durch die ganze Region zurückgelegt. Was ihn zum Schluss brachte, dass die ukrainische Armee nicht nur taktisch überlegen überlegen sei, sondern die Ukraine überhaupt anders sei, als wir im Westen glauben.

AGV-Präsident Klaus Brammertz begrüsste die Gäste Bild: Ulrike Huber

Denn die Wirtschaft sei weitgehend intakt. Das Leben laufe in weiten Teilen des Landes normal. Anhand der Zustände in der Republik Moldawien, wo Russland die Region Transnistrien besetzt hält, erläuterte Pelda, dass mit Russland keine Verträge abgeschlossen werden können, da sich die Herrscher im Kreml ohnehin nicht daranhalten. Die Zerstörungen durch den russischen Angriffskrieg beschränkten sich auf den Osten und Südosten der Ukraine. Nur bei Artillerie seien die Russen noch überlegen. Russland, das dreissig Mal so gross wie die Ukraine ist und dreimal soviele Einwohner hat, führe als Atommacht einen Krieg im Ausland, weshalb er nicht vom Einsatz von Atomwaffen ausgehe.

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Afghanistan und Nordvietnam

Kurt Pelda erinnerte an Afghanistan, das Anfang der Achtziger Jahre die mächtige sowjetische Armee besiegte. Auch an Nordvietnam, das mit 18 Mio. Einwohner, aber mit den Waffen der damaligen Sowjetunion und China die mächtige USA in die Knie zwingen konnte. Ein Vorteil der Russen sei es aber, dass sie mehr Leute rekrutieren können.

Von der Wirtschaftsleistung her gesehen sei Russland inzwischen ein wirtschaftlicher Zwerg. Die Volkswirtschaft ist mit einem Bruttoinlandsprodukt von 1´800 Milliarden Doller kleiner als etwa Italien mit 2´100 Milliarden. Die fünf grössten Waffenfirmen der Welt sind USA-Unternehmen. Erst an der 16. Stelle rangiere der grösste russische Produzent. Logistisch bleibe die Ukraine im Vorteil, solange China Russland nicht im grossen Stil mit Waffen beliefert. Und solange der politische Wille im Westen ausreiche, um die Ukraine zu unterstützen. Dieser politische Wille sei das schwächste Glied, das die Russen mit Propaganda, Beeinflussungsagenten und Kompromaten zu Fall bringen wollen. Und dabei die Hilfe von nützlichen Idioten im Westen beanspruche.

  • Isabel Schorer führte durch den Abend Bild: Ulrike Huber
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Hälfte der einsatzbereiten Panzer verloren

Zu Beginn des Krieges seien etwa 3000 russische Kampfpanzer einsatzbereit gewesen. Die bestätigten Verluste betragen 1642 Fahrzeuge, wovon 543 von der Ukraine erbeutet wurden. Russland hat also mehr als die Hälfte der einsatzbereiten Panzer verloren. Wenn Waffenlieferungen des Westens an die Ukraine anhalten, sehe es für die Russen schlecht aus.

Bild: Ulrike Huber

Der zweite Vortragende des Abends Dr. Marcus M. Keupp lehrt als Militärökonom an der MIlitärakademie Zürich. Seit Ausbruch des Krieges ist er ein international gefragter Experte. Er stellte die Frage, wohin der Weg der Wirtschaft nach Pandemie und Krieg gehe? „Die letzten Jahre waren eine diffuse Zeit, wie auf einem Drogentrip. Gekennzeichnet durch fehlende Planungssicherheit und steigende Preise.“ Dennoch müsse man produktiv mit der Lage umgehen und sich ständig anpassen. Was insbesonders für die eher kleinen Nischenunternehmen des Rheintals gelte. Aber genau solche Firmen brauche es für Nachkriegswelt. Die gute Botschaft aus Sicht von Dr. Keupp: die Rezession falle aus.

 

Kurt Pelda: «Die Wirtschaft in der Ukraine funktioniert weitgehend normal» Bild: Ulrike Huber
Dr. Marcus Keupp: «Wir werden eine Ukraine wie Westdeutschland nach dem 2. Weltkrieg bekommen» Bild: Ulrike Huber
Dr. Ulrich Schmid: «Die russische Gesellschaft ist derzeit total orientierungslos» Bild: Ulrike Huber

Zurück zu normaler Produktion

Die Welt bewege sich von Pandemie zurück zu normaler Produktion. Die Rohstoffpreise seien im langfristigen Vergleich heute gleich hoch wie vor dem Krieg. Und die Inflation habe bereits vor dem Ukrainekrieg begonnen, nämlich 2021. Europa habe die Energiekrise 2022 bereits überwunden. Denn der Markt für Erdgas habe erstaunlich gut funktioniert. Erstmals haben wir in der Ostschweiz Gas aus französischen Leitungen bekommen. Das russische Erdgas ist nicht unersetzlich, wie sich erwiesen hat. Allein 80 Prozent könnten durch LNG aus den USA ersetzt werden.

v.l. Martin Tschirren, Isabel Schorer und Iryna Wetzel Bild: Ulrike Huber

Die westliche Wirtschaft werde aus den Russlandgeschäften aussteigen. Russland selbst werde in eine scharfe Rezession verfallen und sich wirtschaftlich vom Westen abklemmen. Es bleibe ein Potjemkinsches Dorf, das von seinen Rohstoffen lebt. Ein heterogenes Reich mit vielen Völkchen. Eigentlich ein koloniales Imperium, das sich unter Umständen in die Gegenrichtung entwickelt und zerfällt.

Riesiges Geschäftsvolumen

«Wir werden eine Ukraine wie Westdeutschland nach dem 2. Weltkrieg bekommen», so Marcus Keupp weiter, «Der Wiederaufbau wird ein riesiges Geschäftsvolumen bereithalten. Improvisation, Innovation und Schnelligkeit sind in der Ukraine gegeben. Das ist nicht nur ein Agrarland, sondern hält viel Wissen im IT-Sektor bereit.» Er empfehle den Rheintaler Arbeitgebern, sich jetzt ukrainische Flüchtlinge zu holen, um sie dann zum Wiederaufbau und zur Vertretung in der Ukraine zurückschicken.

In der Diskussionsrunde wurden auch Fragen aus dem Publikum beantwortet Bild: Ulrike Huber

Prof. Dr. Ulrich Schmid, von Uni St.Gallen machte seine Ausführungen an vier Punkten fest: 1. Warum führt Russland Krieg gegen die Ukraine? 2. Warum Russland der Ukraine scheitern wird. 3. Welches sind die Auswirkungen auf den Energiebereich? 4. Wie geht es weiter?

Mehrere Obsessionen im Kreml

Warum führt Russland den Krieg gegen die Ukraine? In Putins Kopf gebe es mehrere Obsessionen. Da sei einmal dessen Problem mit der NATO-Osterweiterung. Da pflege der Kreml eine Umzingelungsrhetorik. Eine weitere Obsession sei der Grossmachtstatus Russlands. So wolle Putin zurück zum System von Jalta 1945. Dazu komme die Obsession mit der Idee einer tausendjährigen Staatlichkeit von Russland. Wobei pikanterweise die älteste verbürgte ostslawische Rus ausgerechnet auf dem Gebiet von Kiew gelegen war.

Bild: Ulrike Huber

Putin will die Einheit von Russland, Belarus und Ukraine wiederherstellen. Er selbst hat im Sommern 2021 einen Artikel über die historische Einheit von Russen und Ukrainern verfasst und veröffentlicht. 2015 wurde die Eurasische Wirtschaftsunion ohne die Ukraine gegründet, was Putin wohl nie verkraftet habe.

Marionettenstaat in Zentralukraine

Plan und Realität: Warum scheitert Russland in der Ukraine? Ulrich Schmid erläuterte, dass Russland ursprünglich den Osten annexieren und in der Zentralukraine einen Marionettenstaat errichten wollte. Im Westen wäre ein einen ukrainischer Rumpfstaat geblieben. Durch die seit August geänderte Kriegsführung mit breitem Bombardement ziviler und kritischer Strukturen habe auch im Osten der Ukraine die Ablehnung Russlands stark zugenommen. Im Energiebereich habe Russland versucht, den Gaspreis hoch zu halten. Es läuft tatsächlich ein Sanktionskrieg gegen Russland. Die grossen Energiefirmen haben sich zurückgezogen. Der russische Anteil am Gas in EU hat stetig abgenommen.

  • Iryna Wetzel schilderte die Sorgen und Nöte ihrer ukrainischen Landsleute Bild: Ulrike Huber
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  • René Bognar und RA Thomas Bolt beim anschliessenden Apéro Bild: Ulrike Huber
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  • Helena Bolt unterhielt sich beim Apéro Bild: Ulrike Huber
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  • Alt-Kantonsrat Stephan Britschgi Bild: Ulrike Huber
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  • Sabina Saggioro war für den Verein St.Galler Rheintal als Mitorganisatorin beschäftigt Bild: Ulrike Huber
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  • Auch FC Widnau Präsident Kuno Jocham (Mitte) war unter den Gästen Bild: Ulrike Huber
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  • Christoph Fluri diskutierte über die gehörten Vorträge Bild: Ulrike Huber
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Wie geht es weiter? Wie reagiert die russische Gesellschaft auf den Krieg? Schmid führte aus, dass es in Russland unter Meinungsforschern zwei Meinungen gebe. Die russische Gesellschaft sei in dieser Frage total orientierungslos. 70% sagen ja zu einem sofortigen Rückzug. Genauso sagen 70% Ja zu einer Grossoffensive.

Podiumsgepräch mit Wetzel und Tschirren

Nach den Ausführungen der drei Vortragenden folgte noch ein Podiumsgespräch mit der Präsidentin des Ukrainischen Vereins in der Schweiz Iryna Wetzel, die eindrücklich die Nöte der Bevölkerung schilderte. Und mit Martin Tschirren, Präsident des Vereins Shelter-Ukr.ch.. Tschirren hatte als Grenzwächter im Rheintal die erste Flüchtlingswelle erlebt und sofort mit Bekannten damit begonnen, Wohnraum für die Flüchtlinge zu suchen und zu aktivieren.

rheintal24/gmh/uh