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Region Rheintal
01.08.2022

Prestigeträchtige Weingüter für Städter

Das herrschaftliche Schloss Weinstein über den Marbacher und Rebsteiner Rebhängen
Das herrschaftliche Schloss Weinstein über den Marbacher und Rebsteiner Rebhängen Bild: Werner Kuster
Vom Mittelalter bis heute geniesst der Rebbau im Rheintal einen hohen Stellenwert. Namen wie Schloss Weinstein in Marbach oder Weinburg in Thal weisen darauf hin, dass Rebberge oft mit herrschaftlichen Landsitzen verbunden waren. Ein historischer Abriss von Stefan Sonderegger.

Um das Jahr 1000 wurde der Weinbau wohl im gesamten Schweizer Mittelland bis zur Bündner Herrschaft und dem Wallis sowie auf der Alpensüdseite im Tessin und Veltlin betrieben. Die Eigentümer von Reben waren Klöster, weltliche Herren, städtische Institutionen sowie Stadtbürger, die Weingüter an Bauern verliehen. Letztere bewirtschafteten die Reben mit ihren Familien und mit temporär angestellten Lohnarbeitern, und sie waren zu Abgaben an ihre Grundeigentümer verpflichtet.

Ausführliche rechtliche Abmachungen

Eine Besonderheit des Weinbaus gegenüber den anderen Landwirtschaftszweigen wie Getreidebau und Viehwirtschaft bestand in den oft sehr ausführlichen rechtlichen Abmachungen zwischen den Lehnsherren und ihren Bauern. Diese wurden oft anlässlich von Konflikten ausgearbeitet, wie weiter unten ausgeführt wird. Ein einzigartiges Dokument aus dem Jahre 1471, der Rheintaler Rebbrief, gibt detailliert Auskunft über die damalige Organisation des Weinbaus im St.Galler Rheintal.

Weinbau gehörte zu jenen landwirtschaftlichen Sonderkulturen des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit, die in vielen Teilen Europas im Umland von Städten gefördert wurden. Dies war auch in der Nordostschweiz der Fall; bis ins 15. Jahrhundert zurück ist eine Spezialisierung des Rheintals auf Weinbau nachzuweisen. Gründe dafür waren die steigende Nachfrage nach Wein seitens der Stadt St.Gallen und damit verbundene Investitionen städtischer Kreise in den Rebbau.

Enge wirtschaftliche Verflechtungen

Zwischen Stadt und Umland bestanden enge wirtschaftliche Verflechtungen. Bauern versorgten die Stadt mit Grundnahrungsmitteln, und der städtische Markt lieferte ihnen umgekehrt handwerklich gefertigte Güter, über die sie selber nicht verfügten. Aus solchen gegenseitigen Abhängigkeiten entstanden oft Konflikte.

Der erwähnte Rebbrief von 1471 beispielsweise ist aus einem Streit zwischen der Stadt St.Gallen und den vier Rheintaler Ortschaften Altstätten, Marbach, Berneck und Balgach entstanden. Anlass dazu bot der sogenannte Weinlauf, das heisst der jährlich festzulegende Weinpreis, der fortan in einem Jahr von den St.Gallern und im nächsten Jahr von den Rheintalern bestimmt werden sollte.

Der Rheintaler Rebbrief von 1471 Bild: Stiftsarchiv

Ertrags- und Pflichtenteilung zwischen Herren und Weinbauern

In mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Verträgen zwischen Herren und Weinbauern wurde oft die Verteilung von Aufwand und Ertrag untereinander geregelt.

Im Getreidebau bestanden die bäuerlichen Abgaben an ihre Herren aus fixen Natural- und Geldzinsen sowie Arbeitsleistungen; beim Weinbau war hingegen die sogenannte Teilpacht üblich. Das heisst, die Bauern lieferten einen festen Prozentsatz des jährlichen Ertrages aus dem ihnen verliehenen Weingut ab. Im Rheintal war dies die Hälfte (Halbpacht).

Einzug der Weinabgabe

In guten Jahren profitierten beide Seiten von höheren Erträgen, und umgekehrt beteiligten sich in schlechten Jahren beide an den Verlusten. Fiel eine Weinernte vollständig aus – was nach Hagelschlägen der Fall sein konnte –, verzichteten die Herren oft ganz auf den Einzug der Weinabgabe.

Die Tendenz einer gerechten Verteilung von Pflichten und Risiken zwischen Herren und Bauern kommt auch beim Unterhalt zum Ausdruck. Die Rebstöcke wurden an sogenannten Holzstickeln hochgezogen. Diese mussten alle 10 bis 15 Jahre ersetzt werden, entsprechend hoch war der Bedarf.

Die Weinbauern waren oft nicht in der Lage, alle benötigten Rebstecken aus den eigenen Betrieben zu stellen. In Altstätten mussten die Bauern für die Rebstecken selber besorgt sein und unter Umständen einen Teil ankaufen. Dafür lieferte der Lehnsherr den gesamten Dünger. Dieser bestand zur Hauptsache aus Rindermist.

Lehensherr und Bauer

Der Lehnsherr hatte auch für den Transport zu sorgen, der Weinbauer musste aber helfen. In Marbach, Balgach und Berneck herrschte laut Rebbrief von 1471 eine insofern von Altstätten abweichende Regelung, als sich der Lehnsherr und der Bauer die Rebstecken und den Dünger teilten.

Die Reben im St.Galler Rheintal befinden sich grösstenteils an südostexponierten, abschüssigen Hängen. Deshalb musste oft die abgeschwemmte Erde ersetzt werden; auch hier halfen sich Lehnsherr und Lehnsbauer gegenseitig.

Allmend und Waldweide

Ein Dauerthema war die Zaunpflicht. Weil im Weinbau Viehdung wichtig war, setzte Rebbau die Haltung von Rindern voraus. Im Sommerhalbjahr wurde das Vieh auf den Allmenden und in der Waldweide, die sich in den äusseren Bereichen eines Dorfes – das heisst an den Hängen Richtung Appenzellerland oder in den Rheinauen – befanden, laufen gelassen. Damit das weidende Vieh keinen Schaden an den Weinstöcken anrichten konnte, musste das Rebgebiet mit Zäunen von der Allmende abgesperrt werden.

Die Pflichtenteilung zwischen Lehnsherr und Lehnsbauer bestand darin, dass Ersterer das Zaunholz liefern musste und anschliessend beide Parteien den Zaun gemeinsam erstellen sollten. Die Bauern hatten für den Unterhalt der Zäune zu sorgen.

Stadt-Sankt-Galler Rebbesitz im Rheintal

Die Tatsache, dass die Pflichten in der Rebenbewirtschaftung zwischen den stadt-sankt-gallischen Herren und den Rheintaler Bauern so ausführlich geregelt wurden, unterstreicht die Bedeutung des Weinbaus für die Nahrungsversorgung der Stadt.

Wer aber waren diese städtischen Herren und Eigentümer von Rheintaler Reben? Im Mittelalter war das Kloster der grösste Grundherr der Region St.Gallen. Sein Einflussbereich reichte vom Toggenburg über St.Gallen und Rorschach bis ins Rheintal. Bis 1457 war auch die Stadt St.Gallen der Herrschaft des Klosters unterstellt; dann gelang ihr der Loskauf.

Jahrhundertelanger Emanzipationsprozess

Dieser Trennung war ein jahrhundertelanger Emanzipationsprozess vorausgegangen: Im Laufe des 14. und 15. Jahrhunderts schaffte St.Gallen den Aufstieg zur bedeutendsten Textilhandelsstadt im Bodenseegebiet. Die Stadt konnte diese Stellung bis zum Ausbruch des 1. Weltkriegs erfolgreich behaupten.

In dieser grössten Stadt der Ostschweiz – um 1500 lebten 3000 bis 4000 Menschen dort, womit St.Gallen in die Kategorie der mittelgrossen Städte Europas gehörte – gab es genügend wohlhabende Bürger und Institutionen, die im Umland der Stadt Land kauften.

Spital als Grundbesitzer

Der weitaus grösste städtische Grundbesitzer war das 1228 gegründete Heiliggeistspital. Spitäler des Mittelalters waren Institutionen der geschlossenen Fürsorge, die ihren Unterhalt aus der eigenen Wirtschaft finanzierten. Die wichtigste Einnahmequelle mittelalterlicher Stadtspitäler war ihr Grundbesitz.

Das St.Galler Spital verfügte über landwirtschaftliche Güter und Rechte im Umkreis von 30 Kilometern um die Stadt, die es Bauern gegen Abgaben verlieh. Getreide, Schlachtvieh, Käse und Wein, welche die Lehnsbauern lieferten, dienten der Versorgung der Spitalinsassen. Der Überschuss wurde mit Gewinn verkauft.

Besonders einträglich war der Weinhandel. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts konnten die Einnahmen um das Doppelte bis Dreifache gesteigert werden. Dazu beigetragen hatten Landzukäufe, die Erhöhung der Produktion durch mehr Düngereinsatz oder die Entfernung von Bäumen in den Rebbergen, die Schatten warfen.

Ausschnitt aus einer Karte von Berneck von 1645 mit verschiedenen Weingütern Bild: Stiftsarchiv

Wirtschaftliche Abhängigkeiten zwischen Stadt und Land

Die Intensivierung des Weinbaus im St.Galler Rheintal des Spätmittelalters hatte Folgen für die Bauern, die an Zustände bei Monokulturen erinnern. Die Förderung des Weinbaus ging nämlich zu Lasten des lokalen Getreidebaus. Die Rheintaler Weinproduzenten konnten ihren Bedarf am Grundnahrungsmittel Korn schon lange nicht mehr aus den eigenen Betrieben decken, sondern mussten Getreide zukaufen. Ihr wichtigster Anbieter war ihr Lehnsherr, das Heiliggeistspital.

Zwischen den Weinbauern und dem Spital bestand ein in Rechnungen gut dokumentierter Warentausch: Das Spital lieferte seinen Bauern das ganze Jahr hindurch Getreide und andere Bedarfsgüter, die ihnen in einer laufenden Rechnung als Schulden belastet wurden. Die Gegenleistung der Bauern – und damit ihre Schuldentilgung – bestand im Verkauf des von ihnen produzierten Weins an das Spital. Diese enge wirtschaftliche Verbindung hatte Vor- und Nachteile für die Weinbauern. Einerseits hatten sie einen festen Abnehmer ihres wichtigsten Gutes.

Permanente Verschuldung der Bauern

Andererseits führten die Darlehen des Spitals an die Weinbauern in Form von Getreide, Fleisch und Bargeld zu einer permanenten Verschuldung der Bauern und damit zu einer wirtschaftlichen Abhängigkeit. Mit anderen Worten: Über ihr Spital nahm die Stadt St.Gallen starken Einfluss auf die ländliche Wirtschaft im Rheintal.

Dieses St.Galler Beispiel ist insofern von überregionalem Interesse, als es zeigt, dass eine Stadt auch ohne nennenswertes Territorium in der Lage war, ihre Interessen im Umland durchzusetzen. Das stadt-sankt-gallische Hoheitsgebiet umfasste nämlich nur ca. vier Quadratkilometer, nämlich 2,5 in ost westlicher und 1,5 Kilometer in nord-südlicher Richtung. Die Dörfer und die Landschaft in der Umgebung gehörten weitgehend zum Territorium der Fürstabtei St.Gallen.

Städtische Landsitze

Seit dem 15. und verstärkt im 16. Jahrhundert erbauten oder erwarben viele reiche St.Galler Kaufleute repräsentative Gebäude im Umland der Stadt St.Gallen. Diese schlossartigen Bauten eigneten sich als Kapitalanlage und dienten der Naturalversorgung sowie der Repräsentation der Besitzerfamilien.

Viele dieser Landsitze von Stadt-Sankt-Gallern im Rheintal zeugen davon, dass die wohlhabende städtische Oberschicht sich am adligen Lebensstil orientierte. Während der mittelalterliche Grundbesitz der Stadtbürger und des Spitals mehrheitlich auf ihre wirtschaftliche Versorgung angelegt war, dienten die frühneuzeitlichen herrschaftlichen Bauten der Städter im Rheintal vor allem als Sommersitze.

Vorbildlich renoviert

Das wohl prominenteste Beispiel dafür ist das vor einigen Jahren vom heutigen Besitzer – einem Ostschweizer Unternehmer – in Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege vorbildlich renovierte Schloss Greifenstein am Buchberg bei Thal.

Schloss Greifenstein am Buchberg bei Thal Bild: Archiv

Schloss Greifenstein, Thal: «Geld und Geist»

Schloss Greifenstein wurde in den 1560er-Jahren von Dorothea von Watt und ihrem Ehemann, Laurenz Zollikofer, erbaut. Dorothea von Watt war die Tochter des bekannten Humanisten, Bürgermeisters und Reformators Joachim von Watt, genannt Vadian (1484–1551). Vadians einzige Tochter Dorothea heiratete 1544 Laurenz Zollikofer, den Sohn einer sehr vermögenden St.Galler Handelsfamilie. Sein Vermögen betrug im Jahr 1576 70 000 Gulden, während damals das durchschnittliche Vermögen der städtischen Bevölkerung bei knapp 2000 Gulden lag.

Vadians Tochter verfügte zwar über deutlich weniger ökonomisches Kapital als ihr Ehemann Zollikofer, sie war jedoch über ihren Vater Vadian «reicher» an kulturellem und sozialem Kapital. Der Sohn von Dorothea von Watt und Laurenz Zollikofer, Joachim Zollikofer, vergrösserte Greifenstein mit Landkäufen. Joachim Zollikofer gehörte wie sein Grossvater Vadian zur politischen Elite St.Gallens. Er war unter anderem ab 1613 bis 1625 mehrere Male Bürgermeister und Reichsvogt (Vorsteher des höchsten Gerichts). Hinzu kam seine wirtschaftliche Spitzenposition als Vertreter der Zollikoferschen Textilhandelsdynastie.

Zweitreichster Bürger der Stadt

Gemäss den Steuerbüchern war Joachim Zollikofer der zweitreichste Bürger in der Stadt zwischen 1585 und 1631. Auf Platz vier folgte seine verwitwete Mutter Dorothea von Watt. Schloss Greifenstein gehörte bis 1665 der Familie Zollikofer. Der letzte Besitzer aus dieser Familie, Gottfried Zollikofer, verkaufte den Landsitz Greifenstein mitsamt Mobiliar an Rudolf von Salis-Soglio.

Im 2010 zur Renovation von Schloss Greifenstein erschienenen Buch Städtische Repräsentation auf dem Land listet der St.Galler Architekt Arnold Flammer rund 60 Landsitze von Stadtbürgern auf.  Ein Grossteil davon befindet sich im Rheintal. Ein besonders gut dokumentierter Fall ist Schloss Weinstein in Marbach, dessen Geschichte jüngst vom Bearbeiter der Rheintaler Rechtsquellen, Werner Kuster, aufgearbeitet wurde.

Reiche und politisch einflussreiche Familien

Schloss Weinstein gehörte über Jahrhunderte reichen und politisch einflussreichen stadt-sankt- gallischen Familien. Der prominenteste war wohl der Bürgermeister Ulrich Varnbüler, der das Schloss im Jahr 1479 neu aufbaute. Varnbüler führte 1476 die stadt-sankt-gallischen Truppen bei Grandson und Murten. Auf verschiedene Besitzerwechsel folgte die Periode mit Eigentümern aus den bekannten Familien Schlumpf (ab 1569), Schlapritzi (ab 1591 bis Mitte 17.Jahrhundert), Högger und Zollikofer.

Die stadt-sankt-gallische Besitzergeschichte des Schlosses endete mit dem Verkauf durch die Brüder Johann Jakob und Hektor Zollikofer an den Altstätter Handelsherrn Johann Jakob Custer. Nach weiteren Eigentümerwechseln erfolgte 1943 – 180 Jahre später – der Übergang an die Familie Herzog aus Thal, die Weinstein als Gastronomiebetrieb führte. Zurzeit wird das Schloss vom neuen Besitzer renoviert, der plant, den Restaurantbetrieb wiederaufzunehmen.

Das Schloss Weinstein in Marbach Bild: Archiv

Orientierung am adligen Lebensstil

Die Erstellung schlossartiger Gebäude im Umland führte zum Zusammenprall verschiedener Lebensweisen: hier die reichen Städter, dort die lokalen Bauern. Dieser Gegensatz verschärfte sich zusätzlich, indem der Schlossbesitz den Stadtbewohnern einen adligen Anstrich gab. Dies kommt besonders deutlich bei Schloss Altenklingen im Thurgau zum Ausdruck, das Leonhard Zollikofer – der Bruder des Erbauers von Schloss Greifenstein in Thal – errichten liess.

Zeugnisse für die Orientierung am adligen Lebensstil sind auch Wappenbriefe, die von Bürgern beim König gekauft wurden. Die Familie Zollikofer erhielt ihr Wappen im Jahr 1471 durch Kaiser Friedrich IV. verliehen. Früher bezeugt sind Wappenbriefe der Familie von Watt. Deren Wappen zeigt einen Greif, darauf nimmt der Name von Schloss Greifenstein Bezug. Mit dem Kauf von Wappenbriefen wurde das Ziel verfolgt, sich von der Restbevölkerung und dem bürgerlichen Stand abzuheben.

Schloss Altenklingen nach einer Zeichnung von Johann Baptist lsenring (1796-1860) Bild: Stadtarchiv SG

Inneneinrichtung mit Rittersälen

Der herrschaftliche Lebensstil zeigt sich auch in der Ausstattung der Landsitze. Dazu gehörte die Inneneinrichtung mit Rittersälen wie auf Altenklingen und Ritterstuben wie auf Weinstein oder mit einer Schlossbibliothek und einem eigenen Archiv. Zinngeschirr, reich verzierte Tischtücher oder auch Himmelbetten bringen zum Ausdruck, dass die Stadtbürger auf ihren Landsitzen Gastlichkeit pflegten und diese auch gebührend inszenierten.

Diese bewusste Inszenierung vergrösserte den Graben zwischen den sozial sehr unterschiedlich situierten Schlossherren und der ansässigen Bevölkerung zusätzlich. So ist es nicht erstaunlich, dass im Zuge dieses adlig gefärbten Lebensstils weitere Konflikte entstanden. Zum Beispiel hätten die Zollikofer an zwei Hochzeitsmählern auf einem ihrer Schlösser bis elf Uhr nachts mit lauten Trompetenklängen musiziert, und ebenso würden sie mit ihrem Vogelherd – einer Vorrichtung zum Einfangen von Vögeln – sonntags Scharen von Kindern anziehen und diese damit vom Gottesdienstbesuch abhalten.

Konfessioneller Unterschied

Hier zeigt sich ein weiterer Graben zwischen der ansässigen Landbevölkerung und den zugezogenen Städtern: der konfessionelle Unterschied zwischen den reformierten St.Gallern und den katholischen Rheintalern. Auch der ökonomische Aspekt kann nicht ausser Acht gelassen werden. Die grosse Kapitalkraft von Stadtbürgern trieb nämlich allgemein die Verkaufspreise in die Höhe. Die Rheintaler klagten, dass der Wert der Güter dermassen steige, dass der einheimische «Bauersmann sie nie mehr zu kaufen vermöge».

Wechselvolle Beziehungen zwischen Stadt und Land

Diese bisweilen konfliktreiche Beziehung zwischen reichen Stadt-Sankt-Gallern und der ansässigen Landbevölkerung blieb bis Ende des 18. Jahrhunderts in ähnlicher Weise aufrechterhalten: Die Rheintaler versuchten u. a. durch Anrufung der Eidgenossen, dem Landkauf durch Fremde ein Ende zu setzen. Gleichzeitig verteidigten die Städter hartnäckig ihre Interessen im Rheintal.

Abschliessend ist die Beziehung zwischen den Rheintaler Weinproduzenten und der St.Galler Stadtbevölkerung als ambivalent zu beurteilen: Nicht wenige Rheintaler Bauern dürften v.a. in schwierigen Zeiten froh gewesen sein, in städtischen Personen und Institutionen einen konstanten Abnehmer für ihren Wein zu haben – auch wenn sie dafür den Preis wachsender wirtschaftlicher Abhängigkeit bezahlten.

Der Trüeterhof in Thal Bild: Geri Brauchle

«Kranz» von St.Galler Landsitzen um Thal

In Thal wurden in der Frühen Neuzeit mehrere Anwesen durch Stadt-Sankt-Galler Bürger erbaut, die der gesellschaftlichen Repräsentation ihrer Besitzer, als Kapitalanlage sowie ihrer Versorgung mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen dienten. Zusammen mit Schloss Greifenstein, dem Cunzenhof, dem Oberen Zeller, der Wolfsgrube, dem Trüeterhof, dem Rosentürmli und anderen Gebäuden bilden sie einen eigentlichen Kranz von Stadt-Sankt-Galler Landsitzen um das Dorf Thal. In Thal befindet sich der Buchberg, an dessen steiler, gegen Süden/Südosten gerichteter Lage seit Jahrhunderten intensiv Weinbau unterhalten wird.

Beim Trüeterhof handelt es sich um einen für die Gegend typischen Fachwerkbau. Er wurde im Jahr 1573 für den Stadt-SanktGaller Bürger Heinrich Schlumpf erbaut. Das ausserordentlich stattliche Gebäude wurde im 17 .Jahrhundert umgebaut und im 20.Jahrhundert renoviert. Die Familie Schlumpf war im Leinwandgeschäft zu Vermögen gekommen, was sich in der reichen Innenausstattung des Trüeterhofs zeigt. Noch heute sind zahlreiche prächtige Türen mit kunstvollen Beschlägen vorhanden. Schlumpf liess auch eine Weintrotte mit einem Torkelbaum anbringen.

Barocker Landsitz

Der Stadt-Sankt-Galler Kaufmann Johann Melchior Schirmer besass im Rheintal verschiedene Weinberge und war darum interessiert daran, in der Region auch eine eigene Unterkunft zu haben. Deshalb liess er 1690 das Rosentürmli erbauen. Der barocke Landsitz verfügt über sichtbares rotes Riegelwerk. Wie viele Landhäuser besitzt das Rosentürmli einen Treppenhausturm und einen Festsaal. Das Rosentürmli wird heute noch landwirtschaftlich genutzt und ist eines der wenigen Häuser, das den Wechsel vom Sitz vermögender Städter zu bäuerlichem Eigentum unbeschadet überstanden hat.

rheintal24/stgallen24/Stefan Sonderegger, Stadtarchiv St.Gallen