«Schon lange schwebte mir ein Anlass in diesen Räumlichkeiten der Alpha Rheintal Bank vor», erzählte FDP-Ortspräsident Ralph Brühwiler in seiner Begrüssungsrede vor den etwa sechzig Zuhörern, «denn hier im obersten Geschoss kann man sich wohlfühlen und nach dem heutigen Vortrag von Politikwissenschaftler Michael Hermann noch auf dem Balkon mit Sicht auf das ganze Dorf einen Apéro geniessen.»
«Covid ist ein politischer Scheinriese»
Zahlreiche Gäste
Besonders freute sich Ralph Brühwiler, dass er neben den Gemeindepräsidenten Reto Friedauer und Urs Müller, neben Schulratspräsident Roger Trösch, dem Kantons-FDP Geschäftsführer Christoph Graf, PR-Unternehmer Reinhard Frei und Andreas Frei von der Hausherrin Alpha Rheintal Bank, auch Armin Hanselmann von der SP St.Margrethen begrüssen durfte.
Bemerkt wurde natürlich die gänzliche Abwesenheit der eigentlich einzigen wirklichen Ortsoppositionspartei. «Soviel Füdle hends nöd», war der launige Kommentar von Brühwiler dazu.
Erstaunliche Erkenntnisse
Der Vortrag des aus den Wahlsendungen im TV bekannten Politikwissenschaftlers und Geschäftsführers des Meinungsforschungsinstituts Sotomo Michael Hermann befasste sich mit dem Thema «Was die Schweiz zusammenhält – und was sie trennt». Und brachte erstaunliche Erkenntnisse.
Das erste Kernthema von Michael Hermann war die «Schönheit der direkten Demokratie». Denn tatsächlich entfalte die Kraft dieses Systems oft eine reinigende Wirkung und mache Probleme schneller sichtbar. «Was man letzten Herbst mit der Coronaabstimmung besonders eindrücklich erlebt hat», so Hermann, «kaum war das Abstimmungsergebnis dieser heftig diskutierten Vorlage bekannt, entwich die ganze Luft aus diesem Ballon und das Thema war keines mehr.»
Ausführlich behandelt
Er verwies auch darauf, dass in der direkten Demokratie der Schweiz Themen, die erst mit Verzögerung auch in anderen europäischen Staaten aufkamen, bereits früher ausführlich abgehandelt wurden. So etwa das Problem der Zuwanderung und Überfremdung. Was natürlich gut mit der direkten Demokratie korrespondiere, seien die Social Medias. «Alle können miteinander schwätzen und ungefiltert ihre Meinungen verbreiten.»
Warum ist der Vielsprachenstaat eigentlich in Krisenzeiten, wie während und kurz nach dem ersten Weltkrieg nicht zerfallen? Herrschten doch im Welschen hohe Sympathien für Frankreich und im deutschsprachigen Teil solche für Deutschland. Gab es doch Bestrebungen, dass sich das Tessin abspaltet und zu Italien kommt. Die Antwort des Meinungsforschers auf diese Frage ist verblüffend und dennoch simpel und einleuchtend.
Schweizer Flickenteppich
Es war gerade der Schweizer Flickenteppich aus Kantonen, Konfessionen und Stadt-Land-Graben, der das Land damals zusammehielt. Denn die kantonale Identität war die stärkste in der Schweiz wahrgenommene Identität. «Wir sitzen nicht immer im gleichen Töpfli.»
Was heute zum Zusammenhalt der Schweiz beiträgt? «Die Vielfalt der Konflikte ist verschwunden.» So ist es kaum mehr vorstellbar, dass es wie noch vor wenigen Jahrzehnten eine Abstimmung des Inhalts gibt, dass die Jesuiten kein Kloster mehr gründen dürften. Die konfessionellen Konflikte, die bis in die Siebziger Jahre hinein gravierend waren, gibt es schlicht nicht mehr. «Sogar die CVP ist aus ihrem «katholischen Ghetto» ausgebrochen». Es gebe keine tiefgreifenden Gründe mehr, auseinanderzudriften.
Konzentration der Medien
Mit der Konzentration bei den Tageszeitungen und überhaupt auf dem Medienmarkt, verschwinde zusehends auch der Kantönligeist und die Vielfältigkeit. So sei letztlich nur mehr der vermeintliche Stadt-Land-Graben geblieben. Als politische Kultur, die unterscheidet. Wobei der alte Gegensatz links-rechts ja auch nicht mehr viel mit Arbeiterrechten und Unternehmern und Vermögenden zu tun habe, als vielmehr mit Kultur gegen Kommerz.
Und anders als die USA, wo der Graben zwischen Demokraten und Republikanern immer tiefer wird, sei in der Schweiz zum einen die politische Parteienlandschaft diverser und zum anderen der Stadt-Land-Graben nicht wirklich tief. Denn in den Umfragen deklarieren sich nur jeweils zehn Prozent klar als Ländler oder Städter.
Weniger schöne Seiten
Doch es gebe natürlich auch weniger schöne Seiten der direkten Demokratie. «Diese ist oft wie eine riesige Gruppentherapie. Und die Parteien wissen durch die Geschehnisse und Umfragen meist schon im Vorhinein, wo die Mehrheiten stehen und richten sich danach. Das ist dann leider nicht mehr politische Führung, sondern dem Volk nach dem Mund reden», kritisiert Hermann die gegebenen Verhältnisse.
Dazu seien wichtige Dinge, wie etwa ein von beiden Seiten anerkanntes Abkommen mit der EU, ganz einfach nicht mehrheitsfähig. Oder waren lange nicht mehrheitsfähig. In der jetzigen Situtation, wo bewusst werden muss, dass die Schweiz nicht eine abgeschottete Insel inmitten Europas sein kann, könnte gerade in dieses Thema wieder Bewegung kommen.
Ein politisches Nichts
In der an den Vortrag anschliessenden Fragerunde stellte Michael Hermann fest, dass die Covid-19-Diskussion ein «politischer Scheinriese» gewesen sei. Also sozusagen ein politisches Nichts. Denn die einzige gesellschaftspolitische Änderung, die durch Covid letztlich hervorgebracht wurde, ist die Tatsache, dass heute ein erheblicher Teil der Büroangestellten im Homeoffice tätig ist. Die Diskussion um den Ukrainekrieg und die Situation der Schweiz hingegen werde noch lange politisch nachhallen.