Professor Peter Hettich, was halten Sie grundsätzlich davon, dass Schweizer Konzerne bei der Verletzung von Menschenrechten – egal, wo die Handlung stattgefunden hat – mit der «KVI» zur Verantwortung gezogen werden können?
Auf den ersten Blick tönt das super. Es kann ja niemand dagegen sein, dass Unternehmen, die Schäden anrichten, zur Verantwortung gezogen werden. Der Hund liegt im Detail begraben: Konzeptionelle und juristische Unstimmigkeiten werden zu Unsicherheiten und internationalen Normkonflikten führen. Die Initiative ist nicht zu Ende gedacht.
Wer Schaden anrichtet, soll dafür haften: Dagegen ist im Grundsatz ja nichts einzuwenden. Delegieren Schweizer Unternehmen wirklich ihre diesbezügliche Verantwortung an Subunternehmen oder Töchter in, sagen wir es direkt, Bananenrepubliken?
Das Wort «Bananenrepublik» bringt das neokolonialistische Gedankengut der Initiative gut zum Ausdruck. Natürlich gibt es Länder, die schwache Institutionen haben und Schweizer Standards nicht nachleben. Kann ein Schweizer Gericht hier Abhilfe schaffen? Ist eine Schweizer Intervention nicht respektlos gegenüber dem Gaststaat? Ein Schweizer Unternehmen wird sich ohnehin nicht aus der Verantwortung stehlen können, wenn sein Subunternehmen mit Kinderarbeit produziert; der Reputationsschaden ist dann gigantisch.
Schlagzeilen machten vergiftete Kinder (Glencore/Kolumbien) oder Bauern (Syngenta/Indien). Würden solche Schlagzeilen mit Annahme der Initiative nicht enden?
Solche Schlagzeilen werden nicht enden, im Gegenteil: Schweizer Gerichte bilden für Aktivisten und NGOs ein öffentlichkeitswirksames und günstiges Werbefenster, um auf mutmassliche Missstände aufmerksam zu machen und Druck auf Unternehmen auszuüben. Das zeigte der Prozess gegen die Klimaaktivisten in Lausanne. Derzeit wird vor allem Glencore an den Pranger gestellt: Vielleicht wäre eine Glencore-Initiative besser gewesen, als gleich die ganze Schweizer Wirtschaft in Geiselhaft zu nehmen.
Ist nicht aber der Staat dazu verpflichtet, Menschenrechte und Umweltstandards vorzugeben und einzuhalten?
Tatsächlich ist nur der Staat direkt verpflichtet, die Menschenrechte einzuhalten. Der Staat muss aber durch die Gesetzgebung einen geeigneten Rahmen setzen, damit die Umwelt und Menschenrechte auch von Privaten eingehalten werden.Die KVI will diesen Grundsatz nun umkehren; juristisch führte die Initiative aber einfach dazu, dass die Schweiz neu ausländische Sachverhalte ihrer Regulierungshoheit unterwirft.Wenn Länder wie die EU und die USA solches in der Vergangenheit mit der Schweiz gemacht haben, dann wurde das oft als übergriffig empfunden. Offenbar haben wir weniger Mühe damit, wenn wir anderen unsere Standards aufzuzwingen.